Besprechung vom 21.12.2024
Wer spricht, der handelt
Von der Antike bis ins heutige Lateinamerika: Agnes Imhof rekapituliert die Geschichte des Feminismus
"Mehr Stolz - Ihr Frauen! Der Stolze kann missfallen, aber man verachtet ihn nicht. Nur auf den Nacken, der sich beugt, tritt der Fuß des vermeintlichen Herrn." Das riet Hedwig Dohm einst ihren Geschlechtsgenossinnen. Die 1831 geborene Autorin gilt als eine der brillantesten Vordenkerinnen der historischen Frauenbewegung, ihr Name jedoch findet weniger Erwähnung, als ihr zustünde.
Dohms Aufruf zu Selbstbewusstsein und Widerstand gegen Unterdrückung wird von der Münchner Philosophin und Religionswissenschaftlerin Agnes Imhof in ihrem Buch "Feminismus" nicht nur zitiert, sondern gleich zum Programm gemacht: Schließlich sei "über etwas zu sprechen [oder zu schreiben] eine aktive Handlung", die zu einer Befreiung aus der Opferrolle beitrage und sich in diesem Fall gegen die "oft grausame Diskriminierung von Frauen weltweit" richten soll.
Ausweislich des Untertitels soll die Frauenbewegung "von den Anfängen bis heute" nachgezeichnet und damit eine umfassende Geschichte des Feminismus und seiner wichtigsten Protagonistinnen geliefert werden. Allerdings schreibt Imhof im Vorwort, ihr Buch erhebe keinen Anspruch auf Vollständigkeit, bei der Monographie handle es sich eben um kein Lexikon. "Was ich selbst in diesem begrenzten Rahmen nicht behandeln kann", vermerkt die Autorin, "sollen andere tun." Tatsächlich handelt sie viele Aspekte auf irritierend knappe Weise ab, etwa das Abtreibungspolitikum oder die Rolle der Reproduktionsmedizin. Dennoch muss man ihr zugutehalten, dass sie ein bemerkenswertes Themenspektrum auffächert: von Frauenkulten in der griechischen Antike über die Porträts kaum bekannter Feministinnen wie Christine de Pizan oder Anita Augspurg bis hin zu den Frauenrechtsbewegungen in Afrika, Lateinamerika oder in der islamischen Welt. Warum sie den asiatischen Raum dabei ausklammert, wird nicht ersichtlich.
Versteht man Imhofs Buch als bloße Anregung - gewissermaßen einen einzigen langen Teaser - zur weiteren selbständigen Beschäftigung mit den angerissenen Themen, so sind die von ihr gemachten Angebote durchaus ergiebig. Gleichwohl ist es irritierend, dass die Autorin beispielsweise dem islamischen Raum ein eigenes Kapitel widmet, wichtige Punkte wie die Kopftuchdebatte oder den religiösen Fundamentalismus aber bereits in den Abschnitten über den Verlauf der feministischen Bewegung verhandelt. Später taucht all das wieder auf, nur ohne wirkliche Vertiefung. Und der ständig in den Text eingestreute Verweis "wie wir später noch sehen werden" ist nicht nur ermüdend, sondern wird zum Ärgernis, wenn dieses Versprechen nur unzureichend eingelöst wird. Oder gar nicht. SELMA SCHILLER
Agnes Imhof: "Feminismus". Die älteste Menschenrechtsbewegung der Welt. Von den Anfängen bis heute.
DuMont Buchverlag, Köln 2024.
384 S., geb.
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