Patriarch Philip Brooke ist seiner Krebserkrankung erlegen. Er hinterlässt neben seiner Frau Grace die drei erwachsenen Kinder Frannie, Milo und Isa sowie drei Enkelkinder. Anlässlich seiner Beerdigung kommen alle Familienmitglieder auf dem stattlichen, 400 Hektar umfassenden Anwesen in Sussex, Südostengland, zusammen. Während der letzten zehn Jahre haben sich Philip und Frannie der umfangreichen Renaturierung des Besitzes gewidmet, um seltene Tier- und Pflanzenarten wieder anzusiedeln und einen aktiven Beitrag zum Naturschutz zu leisten. Dieses Ziel hat Vater und Tochter einander nahegebracht. Frannie soll das Projekt als Haupterbin weiterführen. Schnell wird klar, dass ihre beiden Geschwister mit dieser Entscheidung hadern. Man spürt, dass alte Konflikte im Hintergrund schwelen. Die Perspektiven wechseln, es gibt Rückblicke in die Vergangenheit, die offenlegen, dass Philip weder ein guter Vater noch ein treuer Ehemann war. Insbesondere Milo und Isa leiden bis in die Gegenwart hinein an der erlebten Gefühlskälte im Elternhaus. Milo wurde in ein Internat geschickt, wo er jahrelang Heimweh und Demütigungen ertragen musste. Zudem hat Isa nicht den Mann heiraten dürfen, den sie liebte. Auch das wird dem Vater angelastet. Mutter Grace, selbst unglücklich, hat alles geschehen lassen. Sie bleibt während des gesamten Romans blass, während die anderen Charaktere Konturen bekommen.
Die Handlung kommt nur langsam in Gang, für mich ein Manko des Romans. Eine völlig gestresste Frannie versucht, eine Trauerfeier im engen Familienkreis zu organisieren, bei der sie eigentlich kaum etwas zu tun hat, außer eine Rede zu schreiben, bei der sie ständig gestört wird. Es gibt Gespräche und Konfrontationen, in denen es zwar knistert, Aussprachen aber um der Dramaturgie Willen verschoben werden.
Milo möchte auch ein Stück vom Erbe abbekommen. Isa sieht sich nicht nur ihrer Jugendliebe gegenüber, sondern hat auch einen Gast aus den USA eingeladen: Clara, die Tochter von Philips ehemaliger Geliebter, mit der er zehn Jahre lang in den Staaten zusammenlebte. Die junge Doktorandin konfrontiert die Familie mit erschütternden, explosiven Wahrheiten, die zum Umdenken zwingen und Entscheidungen einfordern.
Der Roman spielt im Grunde nur an den fünf Tagen rund um das Begräbnis des Familienoberhaupts. Richtig in Fahrt kommt die Geschichte jedoch erst am Ende von Tag Drei, als Clara die Katze aus dem Sack lässt. Bis dahin wird sich sehr intensiv mit dem Innenleben der Protagonisten beschäftigt, die sehr um sich selbst und ihre vermeintlichen Traumata kreisen. Jeder ist auf seine Art unglücklich, nur Frannie scheint im Umweltprojekt ihre Berufung gefunden zu haben. Sehr kleinteilig werden die einzelnen Begegnungen untereinander geschildert.
Die ganze Familie besitzt ein hohes Geltungsbedürfnis und ist sich ihres privilegierten Standes bewusst. Wirklich sympathisch war mir niemand. Selbst Rebell Milo will der materiellen Sicherheit nicht entsagen. Auf dem Gelände leben noch Verwalter Jack und mitten im Wald Philips Jugendfreund Ned, der immer für einen Joint oder psychedelische Bewusstseinserweiterungen zu haben ist und eine Art Hippie-Dasein führt. Er bietet manch Gestraucheltem eine Anlaufstelle.
Gut gelungen sind die anschaulichen Landschaftsbeschreibungen, die die Atmosphäre sehr realistisch einfangen. Man lernt einiges Wissenswerte über Flora und Fauna, auch weil Frannies neunmalkluge siebenjährige Tochter Rowan gern ihre Kenntnisse zum Besten gibt. Frannie wird als die überlastete Managerin des Anwesens gezeichnet. Sie organisiert und ordnet an, liebt aber auch das Drama. Mir erschien manche Szene mit Emotion und Theatralik geradezu überfrachtet. Diese Effekte haben bei mir nicht recht verfangen, ich fand manche Darstellung überzogen, pathetisch und dadurch unglaubwürdig bis enervierend. Die intendierten, dem Zeitgeist entsprungenen Botschaften wurden allzu deutlich. Ich erschließe sie mir lieber selbst.
Die neuen Aspekte, die Claras Enthüllung in die Handlung hineinbringt, verleihen der Geschichte im letzten Drittel Schwung, so dass ich das Buch doch recht zufrieden zuklappen konnte. Unwillkürlich durchdenkt man die verschiedenen Handlungsalternativen, die sich Frannie und ihrer Familie stellen. (Angesichts des zuvor aufgebauten Konfliktpanoramas erscheint mir das Ende allerdings fast zu versöhnlich aber das dürfte Geschmackssache sein.)
Man hätte den Text insgesamt straffen können, mancher Dialog brachte im Kern nichts Neues, die Befindlichkeiten drehten sich lange im Kreis, ohne auf einen Höhepunkt zuzusteuern. Stilistisch versteht Anna Hope ihr Handwerk. Sie kann Schauplätze, Charaktere und Stimmungen sehr anschaulich in Worte fassen. (Mit ein paar weniger geworfenen Blicken, Whiskys oder Joints hätte mich das Geschriebene noch stärker beeindruckt.)
Ich bin sicher, dass der insgesamt eingängige Roman sein Publikum finden wird. Er sollte Leser ansprechen, die sich für Geschichten rund um komplizierte Familien, Erbschaften, Geheimnisse und transgenerationale Traumata interessieren. Für die gelungene Übersetzung ist Ulrike Kretschmer verantwortlich.