Nachdem mich kürzlich der Roman Blaues Wunder sowie der Jugendroman Das Gegenteil von Hasen von Anne Freytag sehr, sehr begeistert hatte, wollte ich nun gerne noch mehr von dieser Autorin lesen. Der All-Age-Roman Vom Mond aus betrachtet, spielt das alles keine Rolle hat mich vom Titel her stark angesprochen.
Die Hauptperson ist hier Sally, die es gerade nicht einfach hat: Ihre beste Freundin Pia ist weit weggezogen, ihr Freund Felix hat mir ihr Schluss gemacht und wegen Corona sind alle im zweiten harten Lockdown.
"Anfangs hat es noch Spaß gemacht, das alles. Weil man noch nie einen Lockdown hatte, weil man noch nie so lange zu Hause war, weil es genug gab, das liegen geblieben ist. Aber irgendwann kann man sich nicht mehr an der Oberfläche halten. Und dann sinkt man hinab in einen Teil seines Wesens, den man bis dahin nicht kannte oder bewusst gemieden hat. Isolation macht etwas mit einem."
Sally ist zuhause eingesperrt mit ihrer nicht gerade einfachen Mutter sowie ihren Geschwistern Henry, Franny und Charlie. Zu allem Übel lädt ihre Mutter auch noch ihre Volontärin Leni ein, bei ihnen zu wohnen. Sally begegnet Leni sehr abweisend, doch dann entwickeln sich da ganz unerwartet andere Gefühle.
Und auch Felix möchte plötzlich wieder mehr als nur ab und zu das Bett mit Sally teilen. Eigentlich hatte Sally ihn sich zurückgewünscht, doch ist das wirklich so?
"Ich wünschte, ich hätte den entscheidenden Schritt gemacht, als mir klar wurde, dass ich nicht mehr ich war, sondern Felix Version von mir. Aber das habe ich nicht."
Sally ist eine sehr sympathische und authentische Protagonistin. Man kann sich gut in sie hineinversetzen, in ihre Unsicherheiten und ihren Wunsch, allen zu gefallen und es allen Recht zu machen. Dabei schluckt sie viel hinunter, auch wenn es ihr damit nicht gut geht.
"Ich finde es anstrengend, wenn Menschen so sind. Wenn man das, was scheinbar ist, ununterbrochen mit dem, was tatsächlich ist, abgleichen muss. Manchmal kommt es mir so vor, als würde ich die Launen meiner Mitmenschen nicht nur wahr-, sondern mich aufnehmen - über die Haut. Oder die Atemwege. Wie ein Gift, das mich langsam hinrafft."
Vor allem Sallys Entwicklung im Laufe des Buches, mehr zu sich selbst und ihren Bedürfnissen hin, fand ich sehr gelungen.
"Es ging nie darum, ob ich geliebt werde, es ging nicht um andere. Es ging um mich. Ich habe mein Umfeld als Spiegel benutzt, um mich selbst sehen zu können - nur dass man im Spiegel nicht so aussieht wie man aussieht."
Es ist ein sehr ruhiges Buch, es passiert nicht viel, alles passiert nur langsam; doch gleichzeitig passiert ganz viel im Innenleben von Sally. Das muss man mögen. Mir hat es ganz gut gefallen, jedoch fand ich die anderen beiden Bücher von Anne Freytag noch stärker.
Den Epilog mit der Überschrift "Futur 2 fand ich wirklich sehr gelungen, ein passender Schluss für dieses Buch. Die Liste mit allen im Buch genannten Songs ganz am Ende finde ich eine nette Idee der Autorin.
"Ich weiß, warum ich so geworden bin. Weil jeder in einer Familie eine ganz bestimmte Rolle einnimmt, eine Funktion im Gesamtgefüge. Es können nicht alle gleich sein - nicht alle laut, nicht alle gleich wichtig. Wir besetzen die Nischen, die noch frei sind."
Für dieses ruhige, aber angeheme Leseerlebnis vergebe ich final 3,5