Mittendrin statt nur dabei
Wie war das damals, im Wien der 1980er und 1990er, auszugehen, was erleben zu wollen? Alles damals war ein Rausch, in mir und um mich herum , findet Hans Platzgumer. Das mag zwar auch damit zu tun haben, dass er gerade als frischgebackener Maturant Innsbruck hierher entflohen war. Denn wie er weiter ausführt: 1987 war Wien mit 1, 5 Millionen Einwohnern so klein wie schon lange nicht, und er sah vor allem Pensionisten in den grauen, leeren Gassen, die den Anschluss zur Welt verloren hatten .
Doch wo im Land hätte man sonst hinsollen? Oder wie Katja Gasser es ausdrückt: Nach Graz zum Studium gingen nur Feiglinge. Und in Klagenfurt blieben ohnehin nur die, die nicht anders konnten. Folgerichtig begann sich hier etwas zu entwickeln. Davon handelt der Band Branntweiner, Blue Box und Bermuda Dreieck.
Verlegerin Vanessa Wieser hat dafür 18 Kurztexte von Kulturmenschen zusammengetragen, die in jenen Jahren mittendrin statt nur dabei waren. Lauter persönlich gefärbte Erinnerungen, in denen das U4 nie fehlt. Sehr bezeichnend. Peter Waldeck kannte immerhin noch das Montevideo (mit Hochglanz-Discosoul und Schnöseln).
Christopher Just machte mit zwölf seine Oma zur Komplizin beim Fortgeh-Alibi für seine Eltern. Die wohl nicht unrecht mit dem Verbot hatten, liest man die Erinnerungen von Lokalbesitzer Herbert Molin, der echt Unmengen hineingesoffen haben will, was natürlich auch mit den begleitenden Drogen zu tun gehabt hat .
Amina Handke, Tochter des späteren Literaturnobelpreisträgers, ist mit 17 auf eigene Faust und allein hier aufgeschlagen. Erinnerungen an ein Klo am Gang und Dusche im Wohnzimmer teilt sie wohl mit vielen. Jene, Platten in reißenden Sackerln zum DJ-Gig zu schleppen, muss ihr aber erst wer nachmachen.
Für die Autorin und Fotografin Ela Angerer war Wien, über Paris aus Vorarlberg hier gelandet, zwar auf faszinierende Weise dark , aber bald auch voller spannender Künstlerinnen.
(Der Standard, Michael Wurmitzer)
Zu zweit auf einem Moped machten sich 1987 Hans Platzgumer und ein Freund von Innsbruck aus auf nach Wien. Mit wehen Hinterteilen und großen Erwartungen kamen sie drei Tage später dort an. «Auf seine Weise hatte Wien, das damals so wenig zu bieten hatte, viel zu bieten», schreibt der Musiker und Schriftsteller Platzgumer in seinem Beitrag «1987. Die graue Zeitlupenstadt», der den Sammelband Branntweiner, Blue Box und Bermuda Dreieck. Unterwegs im Wien der 80er und 90er eröffnet. Zu bieten hatte Wien z. B. tolle Rock- und Punkkonzerte, niedrige Mieten und billige Preise in der Gastro. Die Stadt, die bis zum Ende des «realen Sozialismus» unweit des «Eisernen Vorhangs» lag, war noch nicht von Gentrifizierung und Neoliberalismus betroffen und war diesbezüglich, aber auch etwa in Sachen Partykultur, westlichen Großstädten hintennach. Ab den 90ern änderte sich das. Wien wurde bunter, was seine Fassaden, diverser, was seine Bevölkerung betraf und teurer in allen Bereichen.
16 Zeitzeug:innen aus der, sagen wir im weitesten Sinn, Kulturszene hat Vanessa Wieser (Journalistin, Verlegerin, Herausgeberin u. a. des Bandes Wien schöntrinken) gebeten, ihre Erinnerungen schriftlich niederzulegen. Wieser selbst erzählt vom Leben und Feiern in Studierendenheimen und vom Abschluss durchgemachter Nächte beim Branntweiner. Der Titel des Interviews, das Wieser mit Blue-Box-Mitgründer Herbert Molin führte, lautet «Eigentlich waren immer alle besoffen». Dass indoor allerorts dicke Zigarettenrauchschwaden Atmung und Sicht erschwerten, ist ebenfalls Fakt.
Ihre Sicht der 80er/90er teilen u. a. Christian Fuchs (FM4), Christopher Just (Ilsa Gold, Der Moddetektiv), Künstlerin und DJ Amina Handke, Augustin-Musikarbeiter Rainer Krispel oder Katja Gasser (ORF Literatur).
(Augustin)