Besprechung vom 25.08.2019
NEUES REISEBUCH
Für den Tisch Als vor einem Jahr William Finnegans großartiges Surfer-Buch "Barbarentage" auf Deutsch erschien, trugen einen diese 600 Seiten davon wie eine kraftvolle Meeresströmung: Exotik und Abenteuer, das komplexe Studium riesiger Wellen vor Hawaii und Samoa, Indonesien und Madeira, und immer wieder die schiere Angst, beim Surfen draufzugehen. Doch in die ganze Faszination dieser adrenalin- und testosterongeladenen Geschichten über Rivalität und Angst und Alphatiere sickerte immer wieder die Frage: Warum ist dieser Sport so männerdominiert? Und wo surfen eigentlich Frauen, die bei Finnegan nur als Mitreisende vorkommen, die tagelang in Strandcafés Bücher lesen und vom Fanatismus ihrer surfenden Männer genervt sind? Eine Antwort auf diese Frage gibt nun das Buch "Surf Like a Girl" und macht den blinden Fleck der "Barbarentage" zumindest ein wenig sichtbar. Auch wenn man die Bücher nicht vergleichen kann (Finnegan erzählt von 50 Jahren Wellenreiten und hat dafür den Pulitzer-Preis bekommen), gibt der Bildband "Surf Like a Girl" einen Einblick in das Leben von 40 Surferinnen. Es sind ganz unterschiedliche Frauen, die dieses Buch zusammenführt, und in den kurzen Selbstbeschreibungen erfährt man zumindest oberflächlich etwas über die Gründe für ihre Surf-Leidenschaft.
Da wäre zum Beispiel Tahnei Roy, eine Filmemacherin und Verlegerin aus Hawaii, die mit den Wellen vor ihrer Haustür aufwuchs. Oder Camille Robiou du Pont, eine französische Fotografin, die in Asien lebt und über "emotionale Auf und Abs" schreibt wie von der Dünung des Meeres. "Ich habe mit 14 Jahren angefangen zu surfen", schreibt Anne Taravet. "Heute bin ich 61. Ich war das erste Surfer Girl in Marokko, und als wir nach Frankreich gezogen sind, gab es nur zehn Französinnen, die damals surften." Taravet wurde sogar einmal französische Surfmeisterin, zog sich dann aber schnell wieder aus der Wettkampfszene zurück, weil ihr da vieles von der Magie des Surfens fehlte: Freundschaft, Stille und Respekt vor dem Meer. Das ist wohl der feminine Zugang zum Wellenreiten, und mit diesen Idealen surft Taravet noch heute ziemlich elegant - die Fotos beweisen es. Überhaupt: An die weibliche Anmut in den Wellen kommt kein einziger Männer-Surfbildband heran. Vielleicht fehlt den Herren naturbedingt auch der wesentliche Zugang zum Rhythmus der Gezeiten, der Bezug zu den Himmelskörpern. "Als ich letzten Winter angefangen habe", schreibt die irische Surferin Easkey Britton, "meinen Menstruationszyklus neben meinen Surferlebnissen festzuhalten, um zu sehen, wann und wie sich mein innerer Zyklus in der Meereslandschaft spiegeln könnte, war das schwer beeindruckend."
Aber weil das Buch ja nicht nur von, sondern auch für Frauen ist, scheint irgendwer der Annahme gewesen zu sein, ihm eine Spur Detox-Lifestyle-Yoga-Retreat-Rhetorik verleihen zu müssen. Denn anders lassen sich die Lebenshilfe-Ratgeber-Sprüche, die immer wieder neben ganzseitigen Fotos abgedruckt sind, nicht erklären: "All we need is vitamin sea", ist da zu lesen, "Life's better when you surf", "The ocean is my medicine" und "Catch waves, not Pokémon". Eigentlich fehlt nur noch: "Träume nicht dein Leben, lebe deinen Traum." In einem "Mini Guide" im Anhang sind dann auch einige "Surf-Retreat-Camps" und "Surf-Yoga-Camps" für Frauen aufgelistet, die sich in ihren Werbeslogans einer ganz ähnlichen Rhetorik bedienen.
asl
Carolina Amell: "Surf Like a Girl". Prestel-Verlag, 256 Seiten
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