Besprechung vom 09.12.2024
KI für Zivilrechtler
Der neue Chatbot zum "Grüneberg" im Test
Das wichtigste Handbuch zum Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB), unter Juristen "Kommentar" genannt, ist der "Grüneberg". Es erscheint in diesen Tagen in der 84. Auflage. Als wir das Buch zuletzt an dieser Stelle besprachen, am 9. November 2015, hieß es noch "Palandt". Wir empfahlen eine Umbenennung, denn Otto Palandt war Nationalsozialist. Seit 2021 ist nun Christian Grüneberg, Richter am Bundesgerichtshof, der Namensgeber. Viele Anwälte und Richter kaufen sich jeden Dezember die neue Auflage des "Grüneberg". Im Jahr 2007 wurde die Auflage mit 50.000 Exemplaren angegeben. Während der Schuldrechtsreform waren es sogar 70.000 Exemplare. Seitdem geht es zurück. Genaue Absatzzahlen gibt der Verlag nicht heraus. Das Buch bleibt ein Bestseller. Stärkstes Kaufargument ist die Einbändigkeit. Mehr als 3283 Seiten sind vollgeschrieben, man verwendet Abkürzungen und Stummelsprache, dazu dünnes Papier, mehr passt nicht hinein. Jede Zeile, die hinzukommt, muss anderswo gekürzt werden. In manchen Jahren kommt sehr viel dazu, wie jüngst beim Personengesellschaftsrecht. Gestrichen werden dann Inhalte mit geringer praktischer Relevanz. Inhalte, die nur noch für Altfälle von Bedeutung sind, wie das Lebenspartnerschaftsgesetz, werden auf die Website ausgelagert.
Mit dieser Neuauflage gibt es erstmals eine digitale Erschließung samt intelligenter Volltextsuche nach Stichwörtern oder Paragraphen. Laut Verlag eröffnen Funktionen wie "Frag den Grüneberg" (eine Frage, eine Antwort) und "Sprich mit dem Grüneberg" (Falllösung im Dialog) "völlig neue Möglichkeiten, die Inhalte des Grüneberg effizient und zielgerichtet zu erschließen". Wir hatten vor Erscheinen des Bandes die Möglichkeit, die Funktionen zu testen. Es handelt sich um Künstliche Intelligenz (KI). Die mittels KI generierten Antworten können auf Einzelmeinungen beruhen, die nicht die geltende Rechtslage oder die höchstrichterliche Rechtsprechung wiedergeben.
Man muss also aufpassen. Doch das System funktioniert sehr gut. Der Verlag schlägt als Beispielfrage vor: "Was sind Schönheitsreparaturen?" Probieren wir es aus. Die Antwort ist richtig. Auf Wunsch werden auch Fundstellen angezeigt. Wenn man mit der Kopierfunktion herauskopiert, werden die Zitatangaben gleich in den Text eingesetzt, und zwar in Klammern. Das ist eine immense Erleichterung für Praktiker. Wir erfinden immer neue Fragen, die meisten Antworten sind akkurat. Frage: "Darf man mir kündigen, weil ich Scientologe bin?" Aus der Antwort: "Zusammenfassend lässt sich sagen, dass eine Kündigung allein aufgrund der Zugehörigkeit zu Scientology nicht zulässig ist und gegen das AGG verstößt." Nächste Frage: Kann ich bei Baulärm die Wohnraummiete mindern? Auch hier folgt eine differenzierte und hilfreiche Reaktion. Bei der Frage "Kann ich einen Vertrag mit ChatGPT erstellen lassen?" kommt das System allerdings an seine Grenzen. Es erklärt: "Aus den zur Verfügung stehenden Textabschnitten aus dem Grüneberg kann ich die Antwort nicht generieren. Bitte formulieren Sie Ihre Anfrage um."
Die Frage, wem der Kölner Dom gehört, wird ausweichend beantwortet. Bei der Frage, ob ich Gemüse verkaufen darf, verweist die Antwort auf verschiedene Rechtsregeln, die man zu beachten habe, aber es fehlt ein Hinweis auf Regeln des öffentlichen Rechts. Bei "Gilt rechts vor links auch in England?" ist die Antwort richtig, bei derselben Frage zu Australien mag die KI keine Antwort geben. Nächste Frage: Sind Steine wesentliche Bestandteile eines Grundstücks? Aus der Antwort: "Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Steine als Erzeugnisse eines Grundstücks gelten können, wenn sie als wesentliche Bestandteile des Grundstücks im Sinne von Paragraph 94 BGB anzusehen sind." Tatsächlich aber sind Steine keine Erzeugnisse und damit keine Bestandteile, denn sie machen die Sachsubstanz des Grundstücks aus, die man von diesem rechtlich nicht trennen kann. So steht es im gedruckten Grüneberg und auch in anderen Kommentaren. Zuletzt probieren wir die Funktion "Sprich mit dem Grüneberg" aus und geben den Sachverhalt einer Examensklausur aus der neuesten Ausgabe der Zeitschrift "Juristische Schulung" ein. Das Ergebnis kommt nach rund 30 Sekunden und ist recht ordentlich, allerdings unvollständig. Faszinierend ist, dass wir auf Wunsch einen Musterbeschluss über den Ausschluss eines Gesellschafters aus der Gesellschaft bürgerlichen Rechts erhalten. Der vorgeschlagene Entwurf berücksichtigt die gesetzlichen Anforderungen und die einschlägigen Normen. Top! Sodann fragen wir: Kennst Du Otto Palandt? Antwort: "Otto Palandt war ein deutscher Jurist und der Namensgeber des bekannten Kommentars zum Bürgerlichen Gesetzbuch, der als 'Palandt' bekannt ist. Der Palandt ist ein Standardwerk im deutschen Zivilrecht und wird von vielen Juristen als Referenzwerk genutzt." Da ist die KI nicht auf dem neuesten Stand. Wir springen zurück zur Funktion "Frag den Grüneberg". Auf die Frage, wieso der Kommentar nun Grüneberg heiße, lesen wir: "Diese Namensänderung erfolgte, um den Kommentar von der Person Otto Palandt zu distanzieren, der während der Zeit des Nationalsozialismus eine Rolle spielte." Eine KI weiß also mehr als die andere. Fazit: Ein sehr überzeugender Start, eine mittlere Revolution, mit Möglichkeiten der Verbesserung. JOCHEN ZENTHÖFER
Grüneberg (Hrsg.): Bürgerliches Gesetzbuch. Kommentar. Verlag C.H. Beck. 84. Auflage, München 2025, 3283 Seiten. 175 Euro (inkl. KI )/125 Euro (ohne KI).
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