Rezension zu Laurenzerberg von Christoph ZielinskiDas Buch Laurenzerberg fällt durch einen sehr gelungenen Bucheinband auf: In Grautönen gehalten, mit dem Titel in orangefarbener Lackierung. Staubschutz und Lesebändchen in derselben Farbe machen das Gesamtbild perfekt.Hätte ich es im Buchladen in die Hand genommen? Vermutlich nicht. Das Foto des beeindruckenden Gebäudes "Zu den zwei Bären" in Kombination mit dem Straßennamen Laurenzerberg wirkt auf mich eher wie das Cover eines Buches über Architektur oder einen bestimmten Architekten. Doch bis auf die Tatsache, dass einige Figuren in der genannten Straße wohnen, hat das Bild wenig mit dem Inhalt zu tun - es führt eher in die Irre.Laurenzerberg ist kein klassischer Roman, sondern eher ein Episodenroman: kurze Texte, lose miteinander verbunden, mit zum Teil großen inhaltlichen Sprüngen. Figuren tauchen auf, verschwinden, und kehren später wieder. Die Struktur ist ungewöhnlich - und verlangt von der Leser*in, sich erst einzufinden.Im Zentrum stehen Wacek und Ophelia (Fela), ehemals in Polen lebende Juden, die das Land verlassen haben und nun in Wien leben. Ihr einziger Anker in der neuen Stadt ist Waceks Cousine Ada und deren Mann Szymon. Zielinski führt gemächlich in die Geschichte ein; anfangs wirken die Episoden fast oberflächlich, fragmentarisch. Besonders Ada, die hysterisch und lästernd agiert, fällt negativ auf - überhaupt gibt es in diesem Buch auffallend viele unsympathische weibliche Figuren.Und dann - fast ein Drittel des Buches ist vergangen - trifft einen plötzlich die Wucht der Geschichte: Adas kleiner Sohn wurde beim Spielen auf der Straße von der Gestapo verschleppt. Ada klammert sich verzweifelt an die Hoffnung, das Rote Kreuz werde ihn wiederfinden.Von da an öffnet sich das Buch mehr und mehr: Wir erfahren, was jüdischen Menschen im Zweiten Weltkrieg widerfahren ist, welche tiefen Wunden in den Überlebenden geblieben sind - und wie wenig diese Traumata gesellschaftlich aufgearbeitet wurden. Stattdessen spiegeln sie sich in Verhalten, Sprache, Misstrauen, Distanz.Ein zentrales Thema des Romans ist der zweite Verlust der Heimat: Der erste durch Verfolgung, der zweite durch Entfremdung in der Emigration. "Aber was ist schon Heimat - wo ist sie wirklich, und was macht sie aus?", fragt sich Wacek in einem Gespräch. Die Antwort bleibt vage - auch, weil das neue Umfeld in Wien von Abwehr und Selbstzufriedenheit geprägt ist.Als Adas neugierige Nachbarin ruft: "Wieder ein Fest bei ihren Juden!", ist sofort klar, dass es nicht freundlich gemeint war.Und Waceks Freund Rosenberg bringt es am Anfang des Buches auf den Punkt: "Ich glaube nicht, dass sich dieses Land ändern wird. Es ist eng und klein, ist mit sich zufrieden."So geraten die jüdischen Emigranten in mitunter skurrile, manchmal tragische Situationen. Die Kinder kämpfen mit unempathischen Lehrern, die Erwachsenen mit einander - denn auch untereinander fehlt es oft an Aufarbeitung, an Dialog, an Mitgefühl. Es wird gelogen, betrogen, gelästert. Ich konnte mich keiner Figur wirklich nahe fühlen.Zielinski schreibt im Nachwort: "...weil es letztlich nur ums Überleben geht."Für mich greift dieser Satz fast zu kurz - vielleicht auch, weil ich selbst aus einer anderen Zeit komme und keinen jüdischen Hintergrund habe. Doch gerade dieser Satz zeigt, wie tief das Trauma reicht und wie schwer es ist, mehr als bloß zu funktionieren.Christoph Zielinski ist einer der führenden internistischen Onkologen Österreichs. In diesem Buch gewährt er Einblick in das Erleben seiner Vorfahren - ein sehr persönliches Schlaglicht, keine allumfassende historische Analyse. Er zeigt, wie wichtig es ist, dass Aufarbeitung überhaupt stattfindet - nicht nur im großen gesellschaftlichen Maßstab, sondern auch im Inneren der betroffenen Familien.Ich würde gern wissen, ob er das Schreiben selbst als Teil dieser Aufarbeitung erlebt hat.Laurenzerberg ist kein Buch für Leser*innen, die stringente Geschichten und klare Auflösungen erwarten. Aber wer einen Bezug zu Österreich hat, sich mit jüdischer Geschichte oder den Auswirkungen von Emigration auseinandersetzen möchte, wird daraus vermutlich viel mitnehmen können.Für mich bleibt das Buch in zweierlei Hinsicht "unrund": Das Cover und der Titel passen nur bedingt zum Inhalt, und ich hätte mir von Zielinski eine tiefere Auseinandersetzung mit den Handlungen der Figuren gewünscht - gerade weil es kein klassischer Roman ist.Und doch: Das Thema ist wichtig, der Autor sympathisch (ich kenne das ORF-Interview mit ihm zu dem Buch) und die äußere Gestaltung gelungen. Deshalb: vier Sterne.