Besprechung vom 30.09.2024
Wie Firmen um Talente buhlen
Ein Leitfaden für Führungskräfte
Klein, aber fein kommt die vorliegende Schrift daher. Sie wurde von Cornelius Riese, dem Vorstandsvorsitzenden der DZ Bank verfasst, die zum genossenschaftlichen Bankensektor gehört. Das Buch soll - so Rieses Petitum - Spitzenführungskräften der Wirtschaft Inspiration zum Nachdenken und zur persönlichen Entwicklung vermitteln. Der Autor sieht seine Schrift nicht als Ratgeber oder Handbuch, sondern als Impulsgeber.
Riese hat einen in die Zeit des Fachkräftemangels passenden Titel für seine Publikation gewählt. Der untrennbare Zusammenhang zwischen Arbeitgeber-Attraktivität und Führung ist in der Fachliteratur bisher kaum thematisiert worden. Vor dem Hintergrund des demographischen Wandels müssen Arbeitgeber attraktiv sein, um qualifizierte und motivierte Mitarbeiter gewinnen und langfristig binden zu können. Das ist umso wichtiger, als sich Bewerber über Social Media und Bewerberplattformen heutzutage intensiv informieren und austauschen über die ihnen interessant erscheinenden Arbeitgeber und deren Führungskultur. Im Netz hinterlegte Empfehlungen von überzeugten Mitarbeitern sind zum wichtigsten Kanal hin zu den besten Köpfen geworden. Dies müssen die um Talente werbenden Unternehmen berücksichtigen.
Der Autor und ebenso die von ihm interviewten Führungskräfte haben auch erkannt, dass die Verbesserung der Arbeitgeber-Attraktivität keine Aufgabe ist, die an die Personalabteilung im Unternehmen delegiert werden kann. Sie ist vielmehr Chefsache und verlangt das persönliche Engagement der Topführungskräfte.
Im ersten Teil des Buches fasst Riese seine persönlichen Beobachtungen, Erfahrungen und Erkenntnisse zur Arbeitgeber-Attraktivität und Führung konzentriert zusammen. Sein ethischer Führungskompass ist der berühmte Spruch von Marc Aurel: "Bei allem, was Du tust, gehe besonnen zu Werke und so, dass Du dabei die höchsten Grundsätze im Auge hast." Diesen empfiehlt er generell der Führungselite. Führung ist eine Dienstleistung für das Unternehmen.
Riese hat sich viel Mühe dabei gemacht, seine Erfahrungen, die man auch als Empfehlungen interpretieren kann, zu präsentieren. Er orientiert sich dabei an der Struktur des Alphabets und generiert so ein im wörtlichen Sinne leicht eingängiges Führungsalphabet. Ihm ist es tatsächlich gelungen, ungekünstelt jeden Buchstaben des Alphabets mit einem passenden Element von Führung und Führungskultur zu belegen.
Einige Beispiele: A steht für Augenhöhe (Wertschätzung für die Mitarbeiter), C für Coaching, K nicht für Kontrolle, sondern für Kommunikation, L für permanentes Lernen, O für Optimismus ohne Naivität, P für Personalentwicklung oder besser Persönlichkeitsentwicklung, Q für Qualität im Sinne von Qualitätsbewusstsein, U für Unternehmenswerte als Kitt, der die Organisation zusammenhält, V für Vorbild oder auch Verantwortung und W für Willkommenskultur.
Mit seinem Führungsalphabet hat Riese renommierte Führungspersönlichkeiten aus großen Unternehmen - darunter Familienunternehmer und angestellte Manager - konfrontiert. Aus seinem Netzwerk konnte er Angie Gifford (Meta Platforms), Jan-Hendrik Goldbeck (Goldbeck), Nicola Leibinger-Kammüller (Trumpf), Theodor Weimer (Deutsche Börse), Christoph Werner (dm), Stefan Wintels (KfW) sowie Reinhard Zinkann (Miele) für Interviews gewinnen, die im zweiten Teil des Buches ausführlich dokumentiert werden.
Riese bat seine Gesprächspartner, aus dem Führungsalphabet die Buchstaben zu nennen, die ihnen am wichtigsten erscheinen. Das hat funktioniert. Die Führungskräfte haben sich in dem Führungsalphabet wiedergefunden und auch noch wertvolle Präzisierungen und Ergänzungen vorgenommen. Sie bestätigen allesamt die strategische Bedeutung der Arbeitgeber-Attraktivität und betonen, dass sie nicht zuletzt von der täglich praktizierten Führungskultur im Unternehmen abhänge. Arbeitgeber-Attraktivität müsse durch das Unternehmen "wabern"; man müsse sie spüren an der Pforte, am ersten Arbeitstag, immer - so etwa die Trumpf-Chefin Nicola Leibinger-Kammüller.
Sicherlich wäre es interessant gewesen, in den Interviews noch mehr darüber zu erfahren, wie die Unternehmen ihre Attraktivität als Arbeitgeber kommunizieren und idealerweise ein Employer Branding erreichen.
In den lesenswerten Interviews, die sich nicht in kurzen Statements erschöpfen, haben die Führungskräfte viel über ihre Persönlichkeit und ihr Verständnis von guter Führung offenbart. Es ist interessant zu lesen, wie sie in ihre Führungsrollen und die entsprechenden Positionen hineingewachsen sind. Dies geschah keineswegs immer nach einem akribisch ausgearbeiteten Karriereplan, sondern nicht selten über Umwege.
Im Schlusskapitel lässt Riese noch einmal die Interviews Revue passieren. Er arbeitet die wichtigsten zeitlosen Erkenntnisse heraus und generiert so Impulse an die Leser. An der Schrift gefällt, dass hiermit nicht der x-te Leitfaden mit "ultimativen" Ratschlägen für eine erfolgreiche Führung präsentiert wird. Nicht wenigen der in den letzten Jahren von vermeintlichen Führungsgurus angepriesenen, reißerisch aufgemachten Handreichungen war nur eine kurze Halbwertzeit beschieden. Dieses Schicksal dürfte der vorliegenden Schrift erspart bleiben. ROBERT FIETEN
Cornelius Riese: Arbeitgeber-Attraktivität und Führung. Ein Impulsgeber. Frankfurter Allgemeine Buch, Frankfurt 2024, 112 Seiten
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