Im Zentrum Ekaterine Togonidzes Roman In meinem Schlaf stehen Nia und ihre schlafende Tochter Gaby. Das Mädchen schläft den Schneewittchenschlaf seit einem halben Jahr, seitdem ein starkes Erdbeben ihre Heimatstadt erschüttert und sie in der Wohnung allein zurückgelassen wurde. Sie leidet unter einer seltenen Schlafkrankheit, dem Resignationssyndrom, das vor allem Kinder und Jugendliche befällt, die in außergewöhnlich unsicheren Zeiten leben, die stellvertretend für die Familie in einen komaähnlichen Schlaf fallen, sich aus dem Leben zurückziehen und nicht geweckt werden können. Die Mutter kann die Situation nicht akzeptieren und versucht alles, um ihre Tochter ins Leben zurückzuholen. Dabei gibt sie ihrem Ehemann Demna die Schuld am Zustand Gabys, da er im Moment des Erdbebens selbst aus Angst geflohen ist und sich nicht um seine Tochter gekümmert hat. Sie bricht den Kontakt ab und versucht, allein und nur mit Hilfe der eigenen Mutter und einer Pflegerin die Situation zu meistern.
Zeitgleich bekommt sie überraschenderweise ein Angebot für die Hauptrolle in einem Film über den Bürgerkrieg in Georgien. Nia spielt eine flüchtende junge Mutter aus Abchasien und der Film hat zwei zeitliche Ebenen, die Gegenwart und die Zeit des Bürgerkriegs (1992-93). Während der Dreharbeiten vermischen und überschneiden sich ihr reales Leben und die Kriegstraumata der 90-er Jahre.
Erstaunlich, dass sich Nia jetzt erstmals mit der Geschichte Georgiens auseinandersetzt, obwohl ihr Ehemann Demna selbst aus Abchasien stammt und sich über seine Vergangenheit und Traumata ausschweigt.
Das Buch ist rasant, konfliktreich und der Roman wäre auch als Film geeignet. Sprachlich und inhaltlich überzeugt er nicht immer und die Verhaltensweisen Nias, ihre gestörte Kommunikation Demnas gegenüber, ihre Schuldzuschreibungen und Anklagen sind nicht nachvollziehbar, sie wacht wie ein Racheengel über ihre Tochter und ist voller Selbstgerechtigkeit und Egozentrismus. Ihr Schicksal ist ohne Zweifel hart, aber sie nimmt weder Ratschläge noch Hilfe an und ist sehr uneinsichtig. Nia hat mein Mitgefühl, aber nicht meine Sympathie oder mein Verständnis. Ihre langwierigen Monologe, wenn sie zu Gaby spricht, wirken gekünstelt und weniger authentisch, so spricht eine Mutter nicht zu ihrem10-jährigen Kind.
Auch das Ende ist nicht überzeugend, es wird zu viel zu konkret erzählt, wenige Leerstellen bleiben offen und über das Mysterium der Krankheit wird hinweggesehen.
Durchaus spannend zu lesen, aber es gibt kaum die Möglichkeit zur Identifikation und der Inhalt wirkt häufig weder plausibel noch nachvollziehbar. Krankheit, Ursache und Heilung werden zu vereinfacht dargestellt und dadurch ergibt sich eine Unglaubwürdigkeit und Inkongruenz. Hervorheben möchte ich das bei uns vernachlässigtes Thema, der Bürgerkrieg Georgiens, seine zehntausend Oper und die Aufarbeitung dieses Massakers es wird dargestellt, wie sinnlos jegliche Kriegsgräuel und Kriegsverbrechen sind, unabhängig von Zeit und Raum.
Resumé:
Für mich war diese Lektüre sehr widersprüchlich, auf der einen Seite, hat sie mich in ihren Bann gezogen, ich konnte das Buch kaum noch weglegen und habe immer weitergelesen. Andererseits habe ich mich über Nia, die Ich-Erzählerin, immer wieder sehr geärgert und konnte ihr Verhalten überhaupt nicht nachvollziehen. Die Situation, in der sie steckt, ist selbstredend schrecklich, aber sie macht ständig andere für diese Situation verantwortlich. Vor allem ist Demna der Sündenbock, er ist schuld an dem Zustand der Tochter. Damit macht sie es sich sehr einfach, überdenkt die Problematik nicht und kann auch Gaby nicht helfen.
Die Vermischung des Filmes und der Aufarbeitung der Geschichte ihres Exmannes erscheint mir auch etwas übertrieben und unplausibel. Vor dem Film wollte Nia nie etwas von der Vergangenheit und seinen Flucht-Erfahrungen wissen, jetzt steigert sie sich fast hinein.
Also das eigentliche Fazit: ein sehr spannender Inhalt, der sich aber für mich in der Umsetzung leider nicht bewährt hat.