Besprechung vom 08.05.2025
Teppich der See
Elinor Mordaunts maritime Erzählungen
Das Leben sei ein weitläufiges Zimmer, ohne Annehmlichkeiten eingerichtet, doch allseits mit wandgroßen Bildteppichen versehen, die uns die Erfahrungswelt zeigen: "zu Land und zur See. Wohl sehr viel mehr See als Land. Mit schlanken Schiffen und breiten Schiffen und großen Schiffen und bauchigen Schiffen, mit Barken und Schonern, Ketschen und Kuttern. Und die meisten der Helden, die darauf gezeigt werden, sind Seeleute, denen der Mund offensteht und die Köpfe im Nacken liegen, als ob sie singen. Und die Echos ihrer Lieder, wie ich sie selbst an Fallen und Spillen singen gehört habe, sind Lieder der See."
So fasst die englische Autorin Elinor Mordaunt im Vorwort zu "Rich Tapestry", einem ihrer autobiographischen Bücher, 1932 ihre Lebenserfahrung zusammen: als großen maritimen Wandteppich. Da war sie sechzig Jahre alt und hatte in der Tat ein wechselvolles Leben hinter sich. Sie war viel und leidenschaftlich gern zur See gereist, hatte in Mauritius und Melbourne gelebt und doch nur auf den Weltmeeren ein Zuhause gefunden, hatte schwanger ihren kaltherzigen Ehemann, einen skrupellosen Plantagenbesitzer, zurückgelassen, erneut den Ozean durchquert und sich alleinerziehend durchgeschlagen: als Designerin und Herausgeberin eines Modejournals für die Dame. Und sie schrieb über die See, das Reisen und die Seeleute. Ihre Geschichten verkaufte sie derart gewinnbringend an Zeitschriften oder Verlage, dass sie sich damit ein standesgemäßes Leben - sie entstammte einer angesehenen Familie und hieß bürgerlich Evelyn May Clowes - finanzieren konnte.
Mehr als zwei Dutzend Romane sind so entstanden, dazu vier umfangreiche Sammlungen an Erzählungen und etliche autobiographische Bände, sämtlich Abenteuergeschichten aus dem klassischen Seefahrermilieu, das Mordaunt über alles liebte: ein umfangreiches Werk, damals sehr erfolgreich und auch von Pionierinnen der Moderne wie Virginia Woolf, deren Debütroman "Die Fahrt hinaus" gleichfalls von der Seefahrt inspiriert war, hochgeschätzt. Mordaunt ist Generationsgefährtin grandioser Erzähler wie Joseph Conrad und Rudyard Kipling, und wie sie erzählt sie Seefahrtsabenteuer aus der Spätphase des britischen Weltreiches, da Namen wie Bombay und Batavia oder Walvis Bay und Bridgetown so vertraut klangen, als seien sie Vororte der Metropole London. Doch das Besondere, ja Einzigartige an ihrem Werk liegt darin, dass Mordaunt diese maritime Lebenswelt, wenngleich sie für die fiktionalen Texte gern Männer als Erzählstimmen erfand, als Frau bereiste und aus weiblicher Sicht erfuhr. Vielleicht hat sie deshalb im zitierten Vorwort einen textilen Vergleich gewählt und die raue, windumtoste Existenz auf hoher See ausgerechnet in das heimelige Bild eines Wandteppichs gefasst.
Vor zwei Jahren hat der Übersetzer Alexander Pechmann, dem viele wunderbare Wiederentdeckungen aus dem Seefahrtsfundus zu verdanken sind, "Das Buch der Abenteuer", einen autobiographischen Reiseband Mordaunts von 1926, erstmals auf Deutsch herausgebracht. Jetzt legt er mit einer kleinen Auswahl an Erzählungen nach. Vier Geschichten sind es, die er hier in schöner Aufmachung und kundig kommentierend präsentiert, vier Einzelstränge aus dem reich verschlungenen Bildteppich der See. Sie heißen "Schwere See", "Der Rückruf" oder "Die Geschichte des Skippers" und erzählen atmosphärisch dicht von düsteren Passagen, heftigen Stürmen, hartgesottenen Burschen, tödlichen Leidenschaften und gespenstischen Begegnungen auf offenem Meer, spürbar in der Tradition der Schauerromantik und ihrer erhabenen Schrecken.
Pechmann bringt das alles raffiniert ins Deutsche und setzt sämtliche Landratten mit Lust der Seemannssprache aus. Wer also endlich wieder lesen will, wie "die Fockmastrahen gebrasst" und "die Oberbramsegel fortgerissen" werden, wie sich die Wellen "über das Schanzkleid an Luv" ergießen und die Matrosen "den Besanbaum mittschiffs anholen und die Schoten loswerfen", der kommt hier ganz auf seine Kosten. Und wer bislang noch nicht wusste, wie quälend eine "Kalme" ist, kann sich die Zeit der Windstille wunderbar mit diesen stürmischen Erzählungen vertreiben. TOBIAS DÖRING
Elinor Mordaunt: "Das Herz eines Schiffes". Erzählungen.
Aus dem Englischen und Nachwort von Alexander Pechmann. Mare Verlag,
Hamburg 2025.
174 S., geb.
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