
Wer an Medien denkt, hat meist ihre Ausformung in technischen Apparaten vor Augen, vom ersten Telegrafen bis zu den heutigen Kommunikations- und Speichermedien. Dabei gerät außer Acht, dass dem Begriff des Mediums auch eine schon vor der Technologie existierende Bedeutung zukommt, in der es jene bezeichnet, die zwischen Himmel und Erde, zwischen Lebenden und Toten, zwischen An- und Abwesenden vermitteln können. Wenn sich Medialität über Jahrtausende als Praxis fassen lässt, die Menschen und Nicht-Menschen verbindet, findet in der Moderne ein Bruch statt: Medien fallen mit Technologie in eins, und aus einer vielfältigen Fremdheit der Medien wird ein Wechselspiel von Prothese und Fernbedienung.
In seiner bahnbrechenden Studie verschiebt Erhard Schüttpelz die Perspektive der Medienwissenschaften: von der Waffe zum Behältnis, von der Schrift zur Sprache, von der Magie zum Ritual. Und er stellt die Frage, was Medien tatsächlich sind, wenn wir immer schon in Mediengesellschaften gelebt haben.
Besprechung vom 31.10.2025
Im gemeinsamen Raum von Blicken, Gesten und Rede
Ohne Kooperation läuft nichts: Erhard Schüttpelz widmet sich einer historisch weit ausholenden Anthropologie aus medientheoretischer Perspektive
Von gewissen Ureinwohnern Australiens heißt es, dass sie zur Steigerung ihres Jagderfolges eine magische Formel sangen: "Schlag ihn mit dem Büschel aus Adlerfedern, schlag ihn mit dem Gürtel, schlag ihn mit dem Stirnband, schläfre ihn ein": Machten sie Jagd auf kleinere Beuteltiere, die sich in den Bäumen versteckten, wiederholten sie diesen Refrain mit einem Stück Bergkristall im Mund.
Was geschieht aber mit den Bestandteilen dieses vor zweihundert Jahren beobachteten Rituals, sobald sie auf die wissenschaftlichen Klassifikationen des Westens treffen? Gürtel und Wurfgeschoss des Jägers gelten dann als Werkzeuge und landen in einem Museum für materielle Kultur, die Zauberformel wird in ethnologische Lehrbücher und Anthologien aufgenommen und der bearbeitete Bergkristall als Talisman und Zeugnis religiösen Vertrauens ausgestellt.
Verloren geht damit der innere Zusammenhang der rituellen, sprachlichen und körperlichen Abläufe, die den Körper in ein Medium der Jagd und des Spurenlesens verwandeln. Aus der Sicht des Jägers sind technisches, physisches und magisch-religiöses Handeln eins. So verschwimmen die Grenzen zwischen biologischem Körper und seiner Zurichtung durch Zeichen, erlernte Praktiken und soziale Markierungen: ein Kontinuum, für das der französische Ethnologe Marcel Mauss 1934 in einem weit über sein Fach hinaus rezipierten Vortrag den Begriff der Körpertechniken prägte.
Die Art und Weise, wie Menschen gehen, stehen, essen, schwimmen oder gebären, so Mauss, ist kein natürliches, sondern ein soziales Faktum. Pierre Bourdieus Theorie des Habitus und die deutsche Kulturtechnikforschung verliehen dieser Einsicht jeweils eigene Akzente. Erhard Schüttpelz, Professor für Medientheorie an der Universität Siegen, versucht sie seinerseits für den breit angelegten Entwurf einer Medienanthropologie fruchtbar zu machen.
Die Medientheorie klassischen Stils von Marshall McLuhan bis Friedrich Kittler sieht Schüttpelz in der Krise. Durch ihr Beharren auf der Exklusivität des Westens und ihre Neigung zu großen Erzählungen sei sie für die neueren Geschichts- und Sozialwissenschaften unattraktiv geworden. Vor allem jedoch zeige sie sich den Entwicklungen digital vernetzter Medien nicht gewachsen.
Medien seien von der Medienwissenschaft stets als unabhängige Variablen gedacht worden, die im Zusammentreffen mit der Invarianten des menschlichen Körpers die Formen von Wahrnehmung und Geselligkeit modifizieren. Damit ist es vorbei. Schrieben frühere Medien vom Telegraphen bis zum Fernseher ihren Gebrauch vor, weil sie sich Verfahren der Standardisierung verdankten, so entstehen ihre digitalen Nachfolger jeweils aus einer konkreten Praxis heraus und heißen nicht umsonst Anwendungen oder Apps.
Diese kritische Bilanz gibt Schüttpelz zugleich seine eigenen, nicht geringen Ziele vor. Eine medienanthropologische Perspektive muss die Menschheitsgeschichte in ihrer längsten Dauer umfassen. Und sie muss die Geschichtlichkeit und Formbarkeit des menschlichen Körpers aufzeigen, seine intime Verknüpfung mit Körpertechniken, Sprache und Ritualen, durch die er zu einem Medium vor allen technisch-apparativen Medien wird. Eine solche Medientheorie spricht nicht länger von Signalen und Botschaften, sondern von Handlungen, sie ersetzt den Kommunikationsbegriff durch den der Kooperation.
Kooperativ ist jedes Handeln, selbst das virtuoseste, weil es durch einen anderen erlernt werden muss. Einschlägige Argumente der Phänomenologie aufgreifend, spricht Schüttpelz von einer Sphäre der Zwischenleiblichkeit. Sie entsteht durch die bereits in der Zweiteilung von linker und rechter Körperhälfte angelegte Möglichkeit gegenseitiger Bezugnahme, durch den gemeinsamen Raum von Blicken, Gesten und mündlicher Rede. Betrachteten klassische Medientheorien Medien als Projektionen und Erweiterungen körperlicher Organe, so erblickt Schüttpelz die ersten Medien im eigenen Leib und im Körper des anderen.
Körpertechniken müssen stets von Neuem eingeübt werden, und keine Virtuosität ist ohne physischen Verschleiß und das Verlernen anderer Fähigkeiten zu haben. Deshalb entziehen sie sich der Linearität technischer Akkumulation. Mit Claude Lévi-Strauss gesprochen, handelt es sich um "kalte" Techniken ohne Fortschritt, während die "heißen" Techniken der Maschinenwelt auf einer zunehmenden Verbindung und Kombination von Operationsketten beruhen.
Dennoch, und das ist für Schüttpelz entscheidend, bleiben alle Technologien weiterhin abhängig von Körpertechniken, auch und gerade solche, die eine vollständige, vermeintlich körperlose Automatisierung von Kommunikation und Syntax versprechen. Denn selbst das effizienteste Large Language Model beruht auf Software und Infrastruktur, die von zahllosen Menschen in gemeinsamer Arbeit aufrechterhalten wird. Überall dagegen, wo Artefakte und zwischenleiblich erworbene Fähigkeiten dauerhaft auseinandertreten, bleiben nur Ruinen.
Die "Irreduzibilität der technischen Geschicklichkeit" ist mithin das einzige "medientechnische Apriori". Durch diesen Befund erweist sich Schüttpelz' medienanthropologischer Entwurf zugleich als Projekt der Symmetrisierung im Sinne Bruno Latours: Wenn archaische Körpertechniken und Medienpraktiken weiterhin unsere Gegenwart prägen, so folgt daraus, dass bereits archaische Kulturen über eigene Medienwelten verfügen, die zwischen Menschen und Tieren, Lebenden und Toten, Diesseits und Jenseits vermitteln. Eben darin liegt die Doppeldeutigkeit des Medienbegriffs, die im enigmatischen Titel dieses Buches anklingt.
Ausgehend von dieser Grundthese betont Schüttpelz die Bedeutung von Behältern, Netzen und Bündeln für eine oft auf Waffen und Werkzeuge fixierte Technikgeschichte; er beschäftigt sich mit Landwirtschaft und Passageriten oder spekuliert über die Entstehung der Schrift. Nichts weniger als eine Universalgeschichte also. Aber eine, die aus der Sicht einer Welt geschrieben ist, die noch keine Schrift, keine Städte und keinen Besitz kennt. MAXIMILIAN GILLESSEN
Erhard Schüttpelz: "Medium, Medium". Elemente einer Anthropologie.
Matthes & Seitz Verlag, Berlin 2025. 512 S., geb.
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