Ein Roman, der ins Herz der Klimabewegung, auf die Höhen deutscher Sprachartistik und in die Hölle einer Angststörung führt.
Cathi Weye, allseits beliebte und geschätzte Psychologin und in ihrer Freizeit klimakrisenkämpferisch hochaktiv, will auf einer griechischen Insel endlich mal richtig ausspannen - und die Beziehung zu ihrem geliebten, aber immer seltsamer werdenden Mann kitten, dem Ex-Bühnenkünstler Ricky Kottenpeter. Der versucht unglückseligerweise vor der Welt und seiner Frau zu verbergen, dass er unter heftigen Angststörungen leidet; statt neue Songs zu komponieren, verkriecht er sich daheim den ganzen Tag in seinem Proberaum und hier im Urlaub auf dem Zimmer, wo er nichts tut außer Beruhigungsmittel zu schlucken und seine Angst vorm Angsthaben zu bekämpfen. Die Zusatzangst, seine vergötterte Cathi zu verlieren, treibt ihn zudem zu zart enervierenden Eifersuchtsaktionen.
Nebenan der flamboyante Philipp Büttner, gleich mit zwei Frauen und einer Mission. Der mit allen Wassern gewaschene Journalist und Frauenheld will einen Coup landen: Ein 'Konfusius' genannter Zausel sorgt mit seinen bizarren Auftritten und wortmächtigen Strafpredigten wider die naturzerstörende Menschheit für mächtig Wirbel im Internet. Nur weiß niemand, wer er ist und was ihn antreibt. Büttner vermutet ihn auf der Insel und will die große Enthüllungsgeschichte.
Bei so viel Erholungsbedarf und gemeinsamem Gesprächsstoff kommen sich Cathi und Büttner bald bedrohlich nahe. Und neben Klima- stehen bald ganz andere Katastrophen ins Haus.
Besprechung vom 12.10.2024
Klima kaputt, Menschen geläutert?
Der totale Roman über die Krisen der Zeit, voller Sprachmacht und Humanität, zum Lachen und zum Weinen: So und nicht anders hat man sich die Rückkehr des Frank Schulz vorgestellt.
Von Edo Reents
Von Edo Reents
Und dann, nach 750 Seiten, ist man durch und fragt sich, wie so etwas eigentlich angehen, wie ein gewaltig überlegenes Hirn sich eines solchen Stoffes bemächtigen und ihn, nur durch Sprache, auflösen und gleichzeitig zu letzter Schönheit veredeln kann. Dies ist ein Endzeit-Roman, erste und, in dieser Form, wohl auch letzte Erzählung der Krise(n) dieser Zeit, womöglich der letzten Tage der Menschheit. Benommen und beglückt sieht man sich danach um: ob die Welt noch dieselbe, ja, ob sie überhaupt noch da, ob auch alles noch an Ort und Stelle ist. So oder so ähnlich war einem zuletzt wohl zumute, als man mit den "Brüdern Karamasow" oder dem "Zauberberg" fertig war, in denen auch nicht weniger passierte, als dass in ihnen die drängendsten Probleme ihrer jeweiligen Zeit eingefangen und zur Strecke gebracht, also letztlich irgendwie gelöst wurden, wenn auch nur - aber was heißt "nur"?! - in Form der vorsichtig sich in die Zukunft vortastenden Frage, ob und, wenn ja, wie doch noch alles gut werde. Antwort jeweils: durch die Liebe. Wodurch sonst?
"Amor gegen Goliath" heißt, mythengesättigt (griechisch-römisch sowie biblisch) bis dorthinaus, das einen langen Atem erfordernde, ihn aber gleichzeitig immer wieder raubende Comeback des Frank Schulz. Und, ganz ehrlich, dass dieser wohl größte Stilist, den wir haben, acht Jahre nach dem Abschluss seiner Onno-Viets-Trilogie, die, nach der Hagener damals, schon seine zweite war, und sechs Jahre nach seinem zweiten Erzählungsband, sich nun mit derartiger Wucht zurückmelden würde, konnten selbst seine fanatischsten Fans, zu denen nicht nur Harry Rowohlt zählte, letztlich eben auch nur hoffen, wissen keiner von ihnen.
Der Hybrid aus Bildungs-, Gesellschafts-, Szene- und Psychoroman verhackstückt, in Schulzens Heimatidiom zu sprechen, wesentliche Themen seiner, also unser aller Zeit: zuerst und zuletzt "Klima", dazwischen, weniger akut, "Corona". Auf die Spielorte Hamburg, Osnabrück (wo Schulz inzwischen selbst wohnt) und, "Ouzo-Orakel"-Adepten werden sich freuen, Kreta einigermaßen gerecht verteilt, trägt sich, individualpsychologisch wie gruppendynamisch bis in die letzten Verästelungen der Nerven vordringend, dabei noch die leisesten seelischen Schwingungen zum Klingen bringend, Folgendes in Parallel- wie in filmisch überblendeter Handlung zu.
Während der mittelerfolgreiche Musiker Patrick "Ricky" Kottenpeter mit depressiv bedingten Eifersüchteleien seine als Psychologin arbeitende klimaaktivistische Frau Cathi immer tiefer in die innere Emigration treibt, lässt der freie Print-Schreiber und erotisch sehr freie Beutegreifer Philipp Büttner seine Verlobte, die Pfeffersackerbin Franziska, während seiner Streifzüge irgendwann links liegen. Diese Stränge werden im kretischen Urlaubsquartier zu einem veritablen gordischen Knoten verknüpft, den das zusätzliche, maßgeblich aus der Magazin-Chefin Jette Lienhardt und der pensionierten, gleichfalls der Klimarettung verschriebenen Studiendirektorin Ilona Gammasch rekrutierte Personal eher noch fester zieht - amourös geht es, recht wahlverwandtschaftlich, zu wie im schnitzlerschen "Reigen" -, bevor sich schließlich alles nicht in Wohlgefallen, sondern in Liebe auflöst, keiner gewöhnlichen, am Ende geben sich Agape und Eros, das ebenso verpeilte wie hochintellektuelle Ensemble einer Läuterung zuführend, ein Stelldichein, beschallt von komplexen Beatles-Akkorden ("All You Need Is Love").
Das ist jetzt sehr vereinfacht nacherzählt. Aficionados haben viel zu feiern beim Wiederlesen klassischer Schulziana, vor allem aus der Hagener Trilogie: heil- und haltlose Trinker, die auch oder erst recht im Suff grellste Geistesblitze abfeuern; Berufszyniker, die aus der zweiten Reihe heraus so manches auf den Punkt bringen und für strikte Abwesenheit von Betulichkeit sorgen; ein Journalistenmilieu voller Abhängigkeiten, Ambitionen und Verstrickungen; ein erst ganz am Ende Gestalt annehmendes Phantom der Weisheit, poetisch treffend geheißen Konfusius, das, als hanseatische graue Eminenz, jenen gordischen Knoten weniger zerschlägt als vielmehr seiner Auflösung beiwohnt, während er beiläufig den Stier namens "Klimakrise" bei den Hörnern nimmt. Und hier, im Klimadiskurs, der neben allerlei Meinungen unermüdlich auch die bedrückendsten Fakten sprechen lässt und der den roten Faden dieser Dramödie (Verzeihung, Frank Schulz!) abgibt, gewinnt der Roman auch zeitdiagnostisch enorme Triftigkeit. In jeder möglichen Form, auf allen Ebenen, in alltäglich-flapsigen Dialogen wie in wissenschaftlich gut und seriös abgehangenen Referaten wird dieser womöglich letzte irdische Ernstfall ausgebreitet und von allen Seiten beleuchtet.
Georg Lukács sprach in seiner "Theorie des Romans" von "Totalität" und meinte damit, dass "alles in ihm vorkommt, nichts ausgeschlossen wird und nichts auf ein höheres Außen hinweist; vollendet, weil alles in ihm zur eigenen Vollkommenheit reift und sich erreichend sich der Bindung fügt". Obwohl ihm dabei auch stilistische Geschlossenheit vorschwebte, die Schulz (absichtlich!) nicht erzielt, haben wir es hier mit Totalität zu tun, indem nämlich der steinerne, (geschätzt) 24 Meter hohe Riese Porphyrion, der sphinxhaft im libyschen Meer alles Geschehen überwacht, aber wohlweislich nicht kommentiert, sich als die Instanz erweist, die Totalität, gewährleistet, "übersinnlich und allwissend". Und die kann, obwohl kein Sohn der Gaia und auch nicht mittelbar des Uranos, ja nur der Erzähler selbst sein, Name: Schulz, Frank.
Es gäbe (unendlich) viel zu sagen über dieses selbst in der gesamten Nachkriegsliteratur ziemlich einsam ragende, von Anfang bis zum bewegenden Ende einen üppig-verschwenderischen poetischen Glanz verströmende, mit allem Raffinement der Jetzt- wie einer früheren Zeit operierende Kunstwerk. Mit geradezu abenteuerlicher Sprachmacht sowie mit zutiefst humanem und, wenn nicht alles täuscht, auch ein wenig post-hippieeskem Geist macht es den Leser wenn nicht zu einem besseren Menschen, so doch zu einem besseren, ja, wie Nabokov gelegentlich Kafkas "Verwandlung" postulierte, zu einem "wahren Leser". Es ist, kein Wunder bei diesem Komiker, ein ganz großer Spaß, aber auch todernst. Sagen wir so: Wer jetzt noch Auto fährt, sollte sich schämen.
Frank Schulz:
"Amor gegen Goliath".
Roman.
Verlag Galiani,
Berlin 2024.
752 S., geb.
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