...äußerst gelungene grafische Umsetzung!!!
Nachdem der Carlsen-Verlag schon einige Werke von Dame Agatha Mary Clarissa Christie, Lady Mallowan, DBE (kurz: Agatha Christie) in Form der Graphic Novel ins Rennen um die Gunst der Krimi-Fans geschickt hatte, hielt mit George Simenon nun ein weiteres Schwergewicht der Kriminalliteratur Einzug ins Portfolio des Verlages. Nun sind Simenons Romane nicht so gefällig wie die seiner britischen Kollegin, nehmen aber völlig berechtigt einen wichtigen Platz auf dem Krimi-Olymp ein. Zudem wählte der Verlag für Simenons Einstand nicht etwa eine Geschichte mit dem weltberühmten Kommissar Maigret, vielmehr fiel die mutige Wahl mit DER PASSAGIER DER POLARLYS auf einen der weniger bekannten Romane.Schon bevor die Polarlys den in frostigen Nebel getauchten Hamburger Hafen Richtung Norwegen verlässt, beschleicht Kapitän Petersen ein ungutes Gefühl. Er spürt etwas, was die Seemänner den "bösen Blick" nennen, und ahnt, dass diese Fahrt keine gewöhnliche wird. Auch der inkompetente, ihm von seinem Arbeitgeber als Dritter Offizier zugeteilte junge Niederländer gefällt ihm nicht. Noch weniger der gerade aus dem Gefängnis entlassene Rumtreiber, den der Maschinist als Ersatz für den erkrankten Heizer an Bord genommen hat. Tatsächlich lässt das Unheil nicht lange auf sich warten, denn schon einen Tag nach Lichten des Ankers wird an Bord einer der fünf Passagiere, der Polizeirat Sternberg, ermordet aufgefunden - und an Verdächtigen mangelt es nicht...(Inhaltsangabe der Verlagsseite des Romans entnommen!)Sowohl Agatha Christie wie auch viele ihrer Kolleg*innen, die das goldene Zeitalter der britischen Krimis prägten, siedelten die Handlungen ihrer Werke gerne in der gehobenen Mittelschicht bis hinauf zum Adel an und präsentierten so kauzige Typen in einem gediegenen Ambiente voller Luxus aber auch mit mehr Schein als Sein.Simenon hingegen porträtierte Typen der Unterschicht: Hier ging es immer etwas direkter, schnörkelloser und handfester zu. Auch Sex und Erotik wurden da nicht nur schamhaft angedeutet. Zudem wurde nicht auf edlen Landsitzen sondern in räudigen Hinterhöfen gemordet. Der Umgangston der Straße war deftig und manches Mal deutlich ordinärer als vergleichsweise in einem gediegenen englischen Cottage. Die literarische Vorlage zur Graphic Novel DER PASSAGIER DER POLARLYS ist mir leider nicht bekannt. Doch mit dem Wissen um die Attribute Simenons Werke, gestatte ich mir die Einschätzung, dass es José-Louis Bocquet gelungen ist, ein stimmiges Szenario zu kreieren, in dem der raue, wortkarge Umgangston, der an Bord eines Passagier- und Frachtschiffes vorherrscht, gut getroffen wurde.Georges Simenon ist für mich ein Meister im Erschaffen von Atmosphäre. Er beherrschte die seltene Kunst, mit nur wenigen Sätzen punktgenau ein Milieu zu schildern. Wenige Sätze, manchmal nur Wörter genügen mir, und vor meinem inneren Auge entsteht das entsprechende Setting der Geschichte. Die Umsetzung besagter Atmosphäre in Bilder ist Christian Cailleaux mit seinen Illustrationen ganz und gar wunderbar gelungen. Mit der Wahl der jeweiligen Physiognomien zum Handlungspersonal skizziert er gestrauchelte und somit vom Leben gezeichnete Charaktere. Er verweigert uns "Schönmalerei" und entwirft ambivalente Figuren mit Ecken und Kanten. Auch sein Setting, sozusagen das Bühnenbild entspricht diesem Konzept: Er verwehrt Simenons Welt eine allzu lebensbejahende Farbigkeit. Alles wirkt gedämpft, dumpf, trostlos - und gleichzeitig beängstigend, so als würde hinter jeder Kabinentür eine Gefahr lauern. "Ist es so, dass das Genre der Graphic Novel mir nicht zu liegen scheint?"zweifelte ich vor einiger Zeit selbst an mir. Dank der Lektüre von DER PASSAGIER DER POLARLYS zweifle ich nun sehr viel weniger. Was hier geschaffen wurde, ist nicht nur ein schnöder Unterhaltungs-Comic, vielmehr wurde ein Klassiker der Kriminalliteratur als eine äußerst gelungene Graphic Novel wiedergeboren.