Das Buch beleuchtet Österreichs Geschichte ab dem Jahr 1945 und verfolgt dabei den roten Faden der politischen Neutralität. Die das Land der Berge, Land am Strome, Land der Äcker, Land der Dome nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges erreichen konnte. Wohlgemerkt, erreichen konnte, obwohl nicht nur Österreich in vier Besatzungszonen der Alliierten aufgeteilt war. Vergleichbar mit Berlin war auch Wien in solche Zonen unterteilt
Das Buch verbindet historische Ereignisse, politische Entwicklungen und kulturelle Eigenheiten zu einer verständlichen Darstellung. Ziel ist es, die Nachkriegszeit, den Wiederaufbau, den Kalten Krieg und den Wandel hin zur modernen Republik greifbar zu machen, ohne dabei in trockene Datenmassen abzudriften.
Der Schreibstil ist anfangs etwas hölzern zu lesen. Was sich im Laufe der Lektüre gibt. Stil ist sachlich, aber gut zugänglich. An manchen Stellen blitzt auch ein trockener Humor auf. Beispiel Seite 159 f., es geht um die aus Ungarn einströmenden Einkaufstouristen, nachdem die Grenze zwischen den beiden Ländern durchlässig wurde:
Allerdings galten auch ziemlich strenge Einfuhrbeschränkungen. Jeder Reisende durfte nur Waren im Wert von 10 000 Forint (damals ca. 300 DM /2230 öS) nach Ungarn einführen. Diese Verordnung konnte man allerdings umgehen, indem die ganze Familie einschließlich Säugling und Oma mitreiste . Diesen Sonderfall hatte man vor Augen, wenn man etwa eine zahnlose Großmutter in inniger Umarmung mit einem Computer vor dem Trabant am Kunsthistorischen Museum in Wien erblickte.
Die Kapitel sind klar gegliedert und bauen sinnvoll aufeinander auf, sodass auch Leserinnen und Leser ohne Vorkenntnisse der Historie folgen können. Wenn für das Verständnis unabdingbar notwendig und angebracht, geht der Autor auch mal in die Jahre vor 1945. Hierzu als Beispiel die bis in die späten 1960er Jahre andauernden auch mit Attentaten geführten Auseinandersetzungen zwischen Österreich beziehungsweise den Süd-Tirolern und Italien geführten Auseinandersetzungen wegen der Zugehörigkeit dieser malerischen Region südlich vom Brenner.
Bonaparte, der sich 1805 zum «König von Italien» hatte krönen lassen, hatte ein Auge auf Tirol geworfen, und 1809 trotzte er den Österreichern im Waffenstillstand von Znaim das Land ab, und zwar gemeinsam mit dem von ihm kreierten Königreich Bayern. Gegen die französisch-bayerische Doppelbesetzung richtete sich der Volksaufstand unter der Führung des Gastwirtes und Pferdehändlers Andreas Hofer. Die Tiroler Miliz gegen die Grande Armée keine besonders aussichtsreiche Idee, und nach der Niederlage in der letzten Schlacht am Bergisel im November 1809 ergriff Hofer die Flucht. Eines seiner Verstecke wurde jedoch von seinem Mitstreiter Franz Raffl für 1500 Gulden Kopfgeld an die Franzosen verraten Diese verschleppten den Freischärler nach Mantua und machten mit ihm dort kurzen Prozess: Das Todesurteil wurde am 20. Februar 1810 durch Erschießen vollstreckt. (S. 94)
Im Mai 1915 gab das Königreich Italien seine bis dahin behauptete Neutralität auf und erklärte auf Seiten der Entente der k. u. k. Monarchie den Krieg, im August 1916 dann auch dem Deutschen Reich. Diese Kehrtwendung, die vor allem Österreich-Ungarns militärische Lage schwächte, war die Konsequenz eines in London unterzeichneten Geheimabkommens, in dem auch das «Kopfgeld» für den Frontwechsel genannt wurde: «Beim kommenden Friedensschluss soll Italien erhalten: Das Gebiet des Trentino, ganz Südtirol bis zu seiner natürlichen geographischen Lage, als welche der Brenner anzusehen ist.» So kam es dann auch, und der Kuhhandel wurde sowohl durch den Frieden von Saint-Germain-en-Laye 1919 als auch das Gruber-e-Gasperi Abkommen von 1946 bekräftigt und von Österreich ratifiziert. (S. 95)
Bei seiner Argumentation und Perspektiven legt György Dalos den Fokus auf die Balance zwischen Neutralitätspolitik, europäischen Verbindungen und nationaler Identität. Verschiedene Perspektiven Politik, Wirtschaft, Gesellschaft werden berücksichtigt, wodurch ein umfassendes Bild entsteht.
Die Stärken des Buches sind die verständliche Sprache und die klare Struktur, die gelungene Verbindung von Politikgeschichte mit Kultur- und Alltagsgeschichte. Eine verständliche Einführung in die Nachkriegszeit, der jüngeren Vergangenheit einschließlich dem Aufstieg des extremen und extrem erfolgreichen FPÖ-Rechtsaußenpopulisten Jörg Haider, dem (leider nur) vorübergehenden Absturz der Blauen, ausgelöst durch Straches Ibiza-Affaire bis hin zur Gegenwart
Geeignet sind die 206, mit Zeittafel 213 Seiten für Leserinnen und Leser, die sich einen Überblick über Österreichs offiziell verlautbarter Neutralität und seiner Identität wünschen