Besprechung vom 26.02.2025
Liebe als bewusste Entscheidung
Perspektivwechsel als Prinzip: Hannes Köhler macht aus zehn Szenen einer Paarbeziehung einen ebenso faszinierenden wie glaubwürdigen Roman.
Die Romane von Hannes Köhler erzählen von Erinnerungen an die amerikanische Kriegsgefangenschaft im Zweiten Weltkrieg, militantem Widerstand in Spanien unter der Franco-Diktatur und immer wieder auch von der Freundschaft. Sein jüngster Titel hingegen widmet sich nun einem anderem, fast ungewöhnlichen Thema, gemessen anhand der bisherigen Veröffentlichungen: der Liebe. Der aktuelle Titel "Zehn Bilder einer Liebe" nimmt somit weniger gesellschaftlich-politische oder historische Gemengelagen in den Blick, sondern richtet sich auf die intime Konstellation der Paarbeziehung und beschäftigt sich mit den Herausforderungen und der Alltäglichkeit von Liebe.
Die "Zehn Bilder einer Liebe" zeigen zehn Momente in der Beziehung von Luisa und David. Kennengelernt haben sie sich im Urlaub in Griechenland: Nach einer durchtanzten Nacht küssen sie sich bei Sonnenaufgang am Strand. So weit, so klassisch. Doch Luisa ist zu dieser Zeit mit Holger verheiratet und hat gerade erfahren, dass sie schwanger ist. Daher gehen sie nach dem gemeinsam verbrachten Morgen vorerst getrennte Wege. Bis sie sich sieben Jahre später in Berlin zufällig und unverhofft wiedertreffen. Luisa hat sich derweil von Holger getrennt, denn er hat das Versprechen sich um die gemeinsame Tochter Ronya zu kümmern, damit Luisa sich ihrer Karriere als Küchenchefin widmen kann, nicht eingelöst. David hat sich nach dem abgebrochenen Jurastudium aus seinem Nebenjob in einer Schiffswerft eine Existenz aufgebaut und ist nun mit seinen Kollegen sogar zum Inhaber dieses Betriebs geworden. Sie beginnen sich kennenzulernen und gehen eine Beziehung ein, werden schließlich eine Familie zu dritt mit Luisas Tochter Ronya.
Doch der Wunsch nach einem zweitem Kind wird für die beiden zur Zerreißprobe. Davon erzählen sie, die zehn Bilder einer Liebe: von Fehlschlägen, von Abschieden, der Angst und dem Neuen, dem Alltag und dem Zusammensein, dem Verlust und schließlich auch dem Weitermachen. Mit diesen abstrakten Schlagwörtern sind auch die zehn Kapitel des Romans betitelt, und jedes Bild ist wie eine Zeitkapsel oder Erinnerung in sich geschlossen und wird aus der Perspektive beider Figuren abwechselnd erzählt. Und obwohl die Kapitel nicht chronologisch geordnet sind, ergeben sie in ihrer Reihenfolge und den zehn unterschiedlichen Situationen die Geschichte der Liebe von David und Luisa.
Allerdings ist dies keine verkitscht-überzeichnete Liebesgeschichte, vielmehr hat Köhler es geschafft, seinen Protagonisten neben der emotionalen auch eine reflektierende Seite mitzugeben. Beide überlegen sie, was eine Beziehung, was Familie für sie bedeuten kann, und versuchen, diese bedeutungsschweren Begriffe umzudeuten und anzupassen an die eigene Lebensweise: "Sie hasste das Wort Familie. Familie war Zwang, war Blut und Genetik, war Schweigen, schlecht versteckte Abneigung. Aber das, dieser Mischmasch aus ihnen dreien, das war etwas, für das ihr ein besseres Wort fehlte, etwas, auf das sie das alte, verfluchte Wort vorsichtig setzen konnte, ohne dass es sich nach Ersticken anfühlte. Einzeln sein und doch etwas Gemeinsames. Aber weil man es wollte, nicht weil man musste." Und so definieren beide Liebe als bewusste Entscheidung, die laufend neu getroffen wird, und nicht als übermannendes Gefühl, dem man schicksalhaft ausgeliefert ist.
Bei solchen Bestimmungsversuchen der Liebe juckt es einem in den Fingerspitzen, eine soziologische Klammer aufzumachen. Niklas Luhmann beschrieb schon 1994 in "Liebe als Passion", dass Liebe kein einzigartiges, individuelles Gefühl sei, welches einen überkommt und für lebenslanges Glück oder Unglück sorgen kann, sondern vielmehr kulturell und gesellschaftlich codiert, in Form von zahlreichen Mustern an Verhaltens- und Kommunikationsweisen, welche unsere Handlungen und Emotionen durchdringen. Nimmt man dann noch die Werke von Eva Illouz dazu, etwa "Gefühle in Zeiten des Kapitalismus", gelingt es auch, die ökonomischen Prinzipien innerhalb von Paarbeziehungen zu beschreiben.
Wenn man nun wie die beiden Hauptfiguren von Köhlers Roman, David und Luisa, Liebe als bewusste Entscheidung sieht, lässt sich bei der kulturellen Codierung und Ökonomisierung von Liebe die Handlungsmacht zurückgewinnen: "Bedingungslose Liebe. Mutterliebe. Sie glaubt nicht daran. Nicht bei Ronya, nicht bei David. Sie will das nicht. Und sie glaubt nicht, dass das eine schlechte Sache ist. Es ist nicht gesund. Liebe ohne Bedingungen, ohne Grenzen ist eine Liebe, die auch Gewalt ertragen würde, Lieblosigkeit von der anderen Seite. Scheiß auf Romantik, die düstere, die schwere. Aufgeklärte Liebe ist keine schwächere Liebe, Liebe, die jeden Tag oder jede Minute aufs Neue entscheidet, dass sie bleibt, ist am Ende viel mehr wert."
Hannes Köhler ist mit seinem Roman "Zehn Bilder einer Liebe" eine der wohl schwierigsten Übungen gelungen: von der Liebe erzählen, und zwar so, dass man es lesen möchte. In seinen zehn kurzweiligen und doch nahegehenden Bildern begleiten wir seine Protagonisten David und Luisa in schweren und hoffnungslosen genauso wie in federleichten, vertrauten und intimen Momenten ihrer Beziehung. Dass das erzählerisch funktioniert, liegt vor allem auch an den beiden glaubwürdigen Figuren und den ständigen Perspektivwechseln zwischen ihnen.
Noch dazu wird auch das Thema der Elternschaft in gelungener Weise verhandelt. Beispielsweise in der ihnen zuvor unbekannten Schlaflosigkeit mit einem Neugeborenen: "Es ist Müdigkeit, wie du sie nicht kennst. Es ist Müdigkeit, die so schlimm ist, dass dein Kopf sie löscht. Es ist Müdigkeit, die dich dumm macht." Oder auch in der erschreckenden Erkenntnis, dass das eigene Kind verletzlich ist: "Es war die erste schwere Verletzung. Die erste OP. Es würden andere folgen, vermutlich. Sie würden da sein. Wie hielten Eltern das aus, wenn ihre Kinder schwer erkrankten, schwerer stürzten als Ronya? Konnte man anders als zerbrechen, wenn das eigene Kind zerbrach?"
In der Beschreibung solch alltäglicher, aber doch prägender Momente des Lebens und der Liebe liegt die Stärke von Hannes Köhlers neuem Roman. EMILIA KRÖGER
Hannes Köhler: "Zehn Bilder einer Liebe". Roman.
Frankfurter
Verlagsanstalt,
Frankfurt am Main 2025.
224 S., geb.
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