Besprechung vom 10.12.2024
Kämpfe mit Witz
Hart gegen Hoeneß: Willi Lemke hat vieles angestoßen, was nachwirkt.
Bei einem der letzten Treffen mit Willi Lemke öffnete seine Frau Heide eine Tüte Haribo Color- Rado für ihn und seine Gäste. Es stellte sich heraus, dass mindestens zwei der drei Menschen am Tisch auf die gleiche Spezialität scharf waren: die süßen Brom- und Himbeeren, von denen stets nur drei oder vier in der Tüte neben allerlei Lakritz lagen. Es entspann sich ein kleines Gekabbel um die begehrte Ware, das Willi Lemke voller Humor aufnahm, allerdings nicht ohne Kampfgeist.
Später kam der Gedanke auf, ob er damit nicht (vielleicht gewollt, vielleicht ungewollt) zwei seiner charakterlichen Eigenschaften vorgestellt hatte: Humor und Kampfgeist.
Als es im Gespräch um die legendären Duelle mit Uli Hoeneß ging, wurden die Unterschiede der Zweikampfführung wieder deutlich. Hoeneß, der Repräsentant des FC Bayern, donnerte in den Achtziger- und Neunzigerjahren los - auf Lemke, den Stellvertreter des SV Werder Bremen, der den Bayern gefährlich geworden war. Manchmal geschah dies gnadenlos. Willi Lemke blieb in der Sache hart und vom Gegenteil überzeugt. Doch im Ton war er humorvoll, süffisant, lakonisch. Auch deswegen band er viele Weggefährten an sich, auch solche, die der immer wieder aufflammenden Auseinandersetzung neutral gegenüberstanden.
Dass hinter der charmanten Art ein beinharter Polit-Profi stand, der es Jahrzehnte in der norddeutschen SPD aushielt, gehört zur Wahrheit über Willi Lemke. Er war im Haifischbecken einer großen Partei so weit gekommen, dass er sich 2007 um das Amt des Bremer Bürgermeisters bewerben konnte - und zu seiner großen Enttäuschung unterlag. Das schafft niemand nur mit Wortwitz und Leichtigkeit.
Dass Lemke stinkig werden konnte, wenn es in Verein und Partei nicht so lief, wie er es sich vorstellte, oder etwas zu lange dauerte, beleuchten Ralf Lorenzen und Helmut Hafner in ihrem gelungenen Buch "Herr Lemke, übernehmen Sie!". Über Jahre haben sie Lemke begleitet und ihn bis kurz vor seinem Tod am 12. August dieses Jahres im Alter von 77 Jahren getroffen. Bei Schmalzgebäck, Käsekuchen und Getreidekaffee ging es um ein Resümee seines beruflichen Lebens. Aber Lemke sprach zunächst nur von seiner Familie: "Ich bin ein sehr glücklicher Mensch. Die Familie stand Jahrzehnte nicht an erster Stelle, dafür aber jetzt von morgens bis nachts. Heute Morgen bin ich um 6.30 Uhr aufgestanden, weil wir unsere Enkeltochter um sieben erwarteten." Dann brachte er Berufliches und Privates unter einen Nenner: "Die schönsten Momente sind die, wenn du aus dem Kreißsaal kommst - oder auf dem Rathausbalkon mit der Mannschaft einen Pokal hochhältst." Nach dem Schnack schwang sich Lemke vergnügt aufs Rad. Drei Tage später starb er an den Folgen einer Hirnblutung im Kreise der Familie.
Es gibt öffentliche Personen, die bekannt und ausgedeutet wirken. In diese Kategorie gehört Lemke. Wer so lange Werder-Manager und Aufsichtsrat war, ist wenigstens im kleinen Stadtstaat und darüber hinaus im Norden eine Berühmtheit. Der Beginn ohne Geld, die ersten Fernsehverträge, die Titel mit Trainer Otto Rehhagel, die Modernisierung des Weserstadions, die Kämpfe gegen Hoeneß: Lemke habe sich über die Verengung auf den gewieften Fußball-Manager und Werder-"Sparkommissar" geärgert, schreiben die Autoren. Da war so viel mehr. Und das ist die größte Leistung dieses sprachlich-stilistisch feinen Buches: Es leuchtet aus, wo "Werder-Willi" herkam und wohin er ging.
Viele mögen geschmunzelt haben, als 2008 die Nachricht kam, Lemke solle fortan als Sonderberater für Sport beim Generalsekretär der Vereinten Nationen arbeiten. Der Spross einer Stettiner Flüchtlingsfamilie würde am Rad der großen Politik drehen? Das wirkte wie ein Aprilscherz. Doch wer so dachte, hatte die Rechnung ohne Lemke gemacht. An Selbstvertrauen hat es ihm nie gemangelt. Er wurde aus dem Nichts vom SPD-Parteisekretär zum Werder-Manager, er nahm das krisenbehaftete Amt des Bildungssenators an und wurde später Innensenator. Das war kein schlechtes Rüstzeug, um wieder die Ärmel aufzukrempeln und buchstäblich weltweit für Frauenrechte im Sport, für Fußballplätze in Slums und den Aufstieg benachteiligter Jugendlicher zu kämpfen. Sogar eine Art Friedensmission durch Sport im Nahen Osten traute er sich zu. Die misslang, musste misslingen, aber viele der Projekte, die Lemke anstieß, vor allem zur Gleichberechtigung, wirken bis heute nach - was man an Trauerbekundungen und Grußbotschaften nach seinem Tod ablesen konnte.
Wenn er wie selbstverständlich vom damaligen UN-Generalsekretär Ban Ki-moon sprach, klang das skurril, weil man mit ihm sonst doch über Rudi Völler, Rune Bratseth oder Klaus Allofs geredet hatte. Aber Weggefährten seiner letzten Berufsstation bescheinigen, dass er diesen Schlüsselposten der internationalen Sportpolitik mit Pragmatismus, Humor und Kampfgeist erfolgreich ausgefüllt habe - soweit es die Bedingungen in dieser Schlangengrube eben zuließen. FRANK HEIKE
Besprochenes Buch
Ralf Lorenzen und Helmut Hafner: "Herr Lemke, übernehmen Sie!" Willi Lemke - zwischen Politik und Fußball. Edition Einwurf, Rastede 2024, 264 Seiten
Alle Rechte vorbehalten. © Frankfurter Allgemeine Zeitung GmbH, Frankfurt am Main.Es wurden noch keine Bewertungen abgegeben. Schreiben Sie die erste Bewertung zu ""Herr Lemke, übernehmen Sie!"" und helfen Sie damit anderen bei der Kaufentscheidung.