Ein neuer Anfang, die erste Liebe und der Tod des besten Freundes - ganz große Gefühle eingefangen in einem schmalen Buch!
Mia kann es kaum erwarten - nach dem Sommer fängt sie auf dem Musikgymnasium an, in einer neuen Stadt, zusammen mit ihrer besten Freundin Else! Was kann es Aufregenderes geben? Trotzdem mischt sich wenig Wehmut in ihre Begeisterung, denn ihre Freunde Jens, Halvor und Are werden nicht dabei sein. Doch erst einmal stürzt sie sich kopfüber in ihr neues Leben und das Musical-Projekt, bei dem auch Adil aus der Stufe über ihr mitmacht. Langsam kommen sie sich näher. Aber dann erhält Are, der mehr ist als nur ein Freund, eine Diagnose, die sein - und Mias - Leben für immer verändert.
Ein bewegender Jugendroman über Liebe, Freundschaft und den Mut, nach vorn zu schauen.
Besprechung vom 23.06.2025
Tausendmal berührt
Bei Hilde Myklebust hat ein Teenager Krebs
Es war eine Notlüge, gesteht Are, als er am Tag vor Weihnachten doch wieder bei Mia in Elvedal vor der Tür steht. Dabei hätte er längst wieder in Oslo sein müssen. Gerade hatte er seinen vier Freunden noch erzählt, dass dort in der Krebsklinik der nächste Chemozyklus ansteht. Dabei haben ihn die Ärzte nach Hause geschickt. Sie können nichts mehr tun, sagen sie. "Ich werde sterben."
Als wäre es nicht auch ohne diesen Absturz in die Hoffnungslosigkeit, selbst ohne die schreckliche Diagnose schon kompliziert genug zwischen Are und Mia, den beiden gerade einmal sechzehn Jahre alten Freunden, vertraut seit Kindergartentagen, zwischen denen etwas neu war im Sommer, nach dem Ende der zehnten Klasse in Elvedal und vor dem Aufbruch in die weite Welt.
Doch von den fünfen sind nur vier gegangen: Jens und Halvor sind jetzt auf einer Schule in Åsnes, Else und Mia in Bratteberg auf dem Musikgymnasium, ein Stück mit der Fähre den Fjord hinein. Nur Are ist zu Hause geblieben und fährt von dort mit dem Motorroller zur Schule ins Nachbardorf.
In ihrem ersten Jugendroman "Auch am Tag leuchten die Sterne" nimmt sich die norwegische Lyrikerin Hilde Myklebust angenehm viel Zeit, von einer Freundschaft unter Jugendlichen zu erzählen, deren Selbstverständlichkeit auf einmal infrage steht: zum einen, weil es das vertraute Quintett zerstreut und die fünf all den neuen Erfahrungen und neuen Bekanntschaften ohne einander nur die Entschlossenheit entgegensetzen können, für immer beste Freunde zu bleiben. Zum anderen, weil diese Sommernacht beim Festival auch für Mia schön war, weil sie Are cool findet und es mag, von ihm umarmt zu werden. Aber für Are ist es mehr, und es könnte gerne noch deutlich mehr werden. Auf eine bestimmte Weise ist er - "der treue, treue Are" nennt ihn Mia einmal, um sich dann, wie es scheint, selbst bei dem Gedanken zu ertappen, dass er "eigentlich auch ein bisschen treudoof" ist, jemand, "der nicht weiß, was für ihn selbst am besten ist" - der Zurückgebliebene in dieser Geschichte: zu Hause im Heimatdorf und ohne die neue Selbständigkeit der anderen.
Hilde Myklebusts Erzählerin Mia hat selbst genug damit zu tun, herauszufinden oder auf Stand zu halten, was für sie am besten ist: Wie kann sie Are zeigen, dass es auch für sie schön war, ohne ihm Hoffnungen zu machen, die sie doch enttäuschen müsste? Wie kann sie ihm weiter die Freundin sein, die sie immer war? Und was geht Are das mit Adil an, dem Jungen aus der Zwölften, mit dem Mia auf der Bühne singen kann, dass - so sagt es Magnus, der Lehrer, mit dem die beiden Klassen des Musikgymnasiums gemeinsam das Musical einstudieren - "die Luft brennt"? Schwierige Fragen, auch ohne den Tiefschlag der Verzweiflung, erst durch Ares Diagnose und erst recht durch die Gewissheit, dass er nicht mehr lange zu leben hat.
Einmal, als Are ausgerechnet nach Bratteberg verlegt worden ist, als Jens und Halvor dort nach einem Besuch im Krankenhaus mit Else und Mia unterwegs sind und dabei zufällig Adil kennengelernt haben, stellt Halvor mit unverhohlener Wut Mia zur Rede: Ob Are eigentlich wisse, dass Mia in einen anderen verknallt sei? Er weiß es nicht, er wird es wohl nie erfahren. Immerhin erfährt Adil schließlich den Grund für Mias emotionale Turbulenzen. Er weiß, von wem der Ring an Mias Finger kommt, und er kommt damit zurecht.
Hilde Myklebust lässt eine Hand voll Teenager in einen Abgrund blicken. Sie gesteht ihnen - von Meike Blatzheim in ein immer jung klingendes, aber nicht anbiedernd jugendsprachlich wirkendes Deutsch übertragen - widersprüchliche Gefühle und alterstypische Entgleisungen zu. Sie lässt sie Fehler machen: solche, die ihnen selbst am meisten wehtun, und andere, mit denen sie andere verletzen. Und sie zeigt auf bewegende Weise, woran nicht nur Mia Halt finden kann. Aneinander, allen Spannungen zum Trotz. Im Kleinen, aber nicht Unwesentlichen, im Vertrauten, zu Hause in Elvedal, an den Eltern und selbst an Lehrern. Und an der Möglichkeit, sich durch Gesang und durch Songtexte auszudrücken. FRIDTJOF KÜCHEMANN
Hilde Myklebust: "Auch am Tag leuchten die Sterne". Roman.
Aus dem Norwegischen von Meike Blatzheim. Carlsen, Hamburg 2025. 256 S., geb., 16,- Euro. Ab 14 J.
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