Fräulein Rajka Radakovi¿s Vater, der Gazda Obren Radakovic, zählt zu den angesehensten und reihum respektierten Geschäftsmännern Sarajevos, ehe er bankrottgeht und darüber verzweifelt. Der Schock über den finanziellen und sozialen Ruin rauben seine Lebenskräfte und auf dem Sterbebett vermittelt er seiner Tochter die Regeln eines finanziellen Erfolges, auf das sie nicht dieselben Fehler begehen mag, wie er.Ein für allemal sollst du wissen und niemals vergessen, dass jeder Mensch, der es nicht versteht, das Verhältnis zwischen seinen Einkünften und Ausgaben so zu regeln, wie es das Leben von ihm verlangt, von vornherein zum Untergang verurteilt ist.Nichtahnend was für ein gefährliches Vermächtnis er damit hinterlässt, will er sie vor dem Bewahren, was ihm widerfahren ist und die Schmach, die nun Frau und Tochter erleiden müssen, verhindert wissen.Denn die Sparsamkeit muss unbarmherzig sein wie das Leben selbst.Die Sparsamkeit entwickelt sich bei Rajka zu Geiz, eine von den Leidenschaften, die mit der Zeit auch den physischen Schmutz nach sich ziehen. Sie vernachlässigt ihre Mutter, das Haus und jede Art von persönlichen sozialen Kontakten. Nur auf das Geschäft und auf alles, was damit zusammenhängt, konzentriert sie ihr Dasein. Ihre unverwüstliche Liebe zum Geld und ihre Verachtung den Menschen gegenüber fordern ihren Zoll. Für das Geld ist sie bereit, auf alles und allem zu verzichten. Dabei überschreitet sie jedes Maß an menschlicher Erträglichkeit. Des Vaters Worte wandeln sich in einen Fluch.Keiner konnte sich erinnern, dass, seit Sarajevo bestand, je ein weibliches Geschöpf mit Geld und Wertpapieren gehandelt hätte und noch dazu so ein Halsabschneider und Wucherer gewesen wäre. Mit dem ersten Weltkrieg ändert sich nicht nur für Rajka das Leben. Die ersten Kriegsjahre sind noch von finanziellem Erfolg gekrönt, doch die unerwartete Länge und die Härte der Kriegsjahre gehen nicht spurlos am Fräulein vorbei.Sehen Sie, Fräulein, ein hungriges Volk, das ist das Schlimmste; es kann nicht Krieg führen und nicht ruhig belieben. Da gibt es keine Arbeit und kein Leben. Das ist der Untergang!Es kommt zwar nicht der Untergang, doch das Fräulein und ihre Mutter verlassen Sarajevo und ziehen nach Belgrad, die Stadt, in der der Bruder ihrer Mutter wohnt. Hier erblühen ihre Geschäfte wieder, auch wenn die Bekanntschaft mit Ratko Ratkovi¿ ihren angeborenen, immer wachen Widerwillen gegen jedes Risiko und jede Geldausgabe für einige Zeit außer Gefecht setzt.Meine persönlichen Leseeindrücke Ivo Andri¿ - Nobelpreisträger und "die literarische Stimme Bosniens schlechthin" (NZZ) - schreibt in seinem Roman "Das Fräulein" über eine starke Frauenfigur, die in Erinnerung bleibt.Ihr Leben beginnt etwa mit ihrem fünfzehnten Geburtstag. Es beginnt mit einem dunklen Punkt, mit einem bitteren Augenblick.Noch auf dem Sterbebett schärft der Vater seiner fünfzehnjährigen Tochter ein: "Spare, spare immer, überall, an allem, und kümmere dich um nichts und niemanden." Streng hält sie sich an seinen Rat, übernimmt den Haushalt, schaut hartherzig einzig und allein auf ihren Vorteil und wird darüber zu einem Monstrum an Gier und Habsucht. Das Verhältnis zur Mutter ist stets trocken, gezwungen, ohne Wärme und Innigkeit, so als erscheint es ihr eine Freude, die sanfte Frau zu unterdrücken.Ivo Andri¿ erzählt in seinem Roman nicht nur von einer jungen Frau, die durch den Tod des Vater beginnt, hart und rücksichtlos zu arbeiten und zu verdienen, jedem ihr untergeordneten Wesen ihren abnormen Sparzwang auferlegend ohne Erbarmen gegen sich und andere, sondern auch von einem Sarajevo vor und während des ersten Weltkrieges. Ich war noch nie dort, und würde, nachdem ich den Roman gelesen habe, die Stadt gerne einmal kennenlernen.In einer feinen gehobenen Sprache, wie ich sie bei Joseph Roth in "Radetzkymarsch" kennen und lieben gelernt habe, schafft Ivo Andri¿ eine großartige und zeitlos aktuelle Charakterstudie und einen Finanzratgeber par excellence schlechthin! Durch fein gezeichnete Verhaltensmuster, tiefe charakterliche Abgründe, zwanghafte Gier und schrankenlose Willkürherrschaft, dies um den Tod des Vaters zu rächen, zeigt er dem Leser das Leben des Fräuleins. Ungeliebt und von vielen verachtet, verkommt sie zu einer abgemagerten, kranken alten Jungfer, bis der Tod sie holt.Einzig wenn es um Geldfragen ging, konnte sich ein nahestehendes und verlässliches Verhältnis zu Menschen aufbauen. In Sarajevo hatte sie Konforti, Direktor Pajer oder Veso, aber in Belgrad war sie alleine.FazitMit dem 1944 entstandenen Roman "Das Fräulein" erzählt Ivo Andri¿ von Bosnien und Serbien zur Zeit vor und nach dem 1. Weltkrieges und mittendrin vom dem Fräulein, das zeigt, wie Geld funktioniert. Großartige Charakterstudie!