Besprechung vom 02.02.2021
Klassisch der Boden
Jörg Ernesti spaziert auf deutschen Spuren durch Rom
Kann das Nationale überhaupt noch ein Suchbegriff sein, heute, wo man über alle nationalen Tellerränder blickt? Eindeutig, ja. Gerade in Rom, dieser Hauptstadt aller möglichen Welten, hat sich das Nationale als Schublade immer wieder bewährt. Gerade bei den Deutschen vor 1871, die nicht selten erst in Rom begriffen, dass sie nicht nur Preußen, Thüringer oder Schwaben waren, sondern von den Römern und allen, die sonst noch da waren, als "Deutsche" erlebt und bezeichnet wurden. Als ein solcher Deutscher blieb man gerne unter seinesgleichen, gerade in Rom.
Schon das Durchblättern des schmalen, gut illustrierte Bandes macht Vergnügen. Es erstaunt, wie emsig und vielfältig sich Deutsche in Rom über die Jahrhunderte hinweg betätigt haben: Nationalkirchen, Seminare, Friedhöfe, Forschungsinstitute, Kulturinstitute, Akademien, Museen, daneben Zehntausende meist vergessene Adressen, wo sie gewohnt und gewirtschaftet haben - und sogar eine Piazza Martin Lutero gibt es, beim Goethe-Denkmal. In Rom! Ein kollektives Nationalprojekt, könnte man meinen, wenn wirklich von einer Nation die Rede wäre, oder von einem Kollektiv. In Wirklichkeit haben "die Deutschen" in Rom meist abgeschirmt von anderen und ihresgleichen vor sich hin gewerkelt. Individualisten halt.
Grob kann man sie in drei Gruppen aufteilen: Die Gastarbeiter des späten Mittelalters, hauptsächlich Bäcker und Handwerker, später auch Drucker; dann die religiös motivierten Migranten wie Pilger und Kleriker; und schließlich die Künstler, Archäologen und Sonstige. Man vergisst heute leicht, wie groß der Einfluss der zweiten Gruppe gewesen ist. Ernesti führt ihn eindrucksvoll vor Augen. Vielleicht ist das Kirchliche am Ende ein wenig überrepräsentiert. Dafür vergisst er eine vierte Gruppe nicht, an die man heute in Deutschland nicht mehr unbedingt denkt, die Soldaten nämlich. Auch sie haben Spuren hinterlassen, meist sind es Wunden, wie jene kaum verheilten der deutschen Besatzung von 1943/44.
Überhaupt scheint der Deutsche, historisch gesehen, umso wohltuender zu sein, je vereinzelter er auftritt. Als organisierte Masse ist er eher problematisch für das Gastland, das ein langes Gedächtnis hat. So erinnert man sich in Rom noch an die Plünderungen durch die überwiegend deutschen Landsknechte Kaiser Karls V. im Schreckensjahr 1527, und, besser noch, an den Einbruch germanischer Stämme in der späteren Kaiserzeit, auf die Rom mit dem Bau seiner Aurelianischen Stadtmauer reagierte. Die steht heute noch - auch eine Art deutsche Spur, wie Ernesti meint, und bestimmt die größte, die je ein Volk irgendwo hinterlassen hat, noch dazu ohne einen Finger zu rühren. Spurenweltmeister!
GOLO MAURER
Jörg Ernesti: "Deutsche Spuren in Rom".
Spaziergänge durch die Ewige Stadt.
Herder Verlag, Freiburg 2020. 224 S., Abb., geb.
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