Pleasure von Jovana Reisinger ist ein Essay über Genuss und die Frage, wem dieser zusteht. Dabei geht die Autorin vorwiegend auf die Themen Essen, Kleidung und Schlaf ein. Die Autorin erforscht zum einen ihr persönliches Bedürfnis nach Luxus, Glamour und Genus, untersucht jedoch auch gesellschaftliche Strukturen und Bedingungen und geht der Frage nach, wem ein gutes Leben zusteht.
An diesem Tag, während sich die Erwachsenen den Selbstgebrannten reinschütteten und über ihre schmerzenden, abgearbeiteten Körper klagten, beschloss ich, mich für alle Zeiten fernzuhalten von einer demütigen Arbeitsmoral, von Lebenszeitvergeudung durch Arbeit, die mir keine Freude macht. Erst später, viel später, habe ich verstanden, dass es sich dabei selten um eine freiwillige Entscheidung handelt.
Nicht alle können sich Selbstverwirklichung leisten und dabei gut leben. Manche sorgen dafür, dass andere es schaffen. Sie putzen die Arbeitsplatten, machen Pläne, assistieren, bereiten vor und bereiten nach. Manche gehen beim Versuch zugrunde oder geben irgendwann auf. Ich gehöre nicht dazu.
In einer Mischung aus persönlichen Erlebnissen, Gefühlen und Gedanken nimmt und Jovana Reisinger mit auf den roten Teppich, ihre Arbeit, ihr Liebesleben, und so weiter. Der Text springt hin und her zwischen Memoir und Essay, war mir persönlich stellenweise etwas zu ausschweifend (und vielleicht auch einfach zu weit weg von meinem Leben), enthielt jedoch auch immer wieder sehr treffende Aussagen:
In einem arbeitsreichen Leben, in einem mit vielen Pflichten und vielen Sorgen, ist der Genuss die verdiente Belohnung. Über die Belohnung hinaus geht die Dekadenz, die verschwenderische Fülle. In so einem kleinen Leben, einem mit mehr Entbehrungen als Bonuszahlungen, ist die Hingabe an Pleasure beinah eine Form des Widerstands. Eine Grenzüberschreitung.
Pleasure steht für Genuss und Bedürfnisbefriedigung: eine Praline, das gute Obst, der Edelschmuck, die Freibadpommes, die Designerhandtasche, der Kuss, die geilen Heels, der Sonnenuntergang, die Umarmung, ein Käsebrot, die Postkarte aus dem Urlaub, der Urlaub, die Berührung, das ausgeschlafene, erholte Aufwachen, der richtige Satz, das merkwürdige Ereignis, die ergreifende Kunst, der alles verschlingende Sx. Um ein Bedürfnis befriedigen und genießen zu können, muss es als solches nicht nur erkannt werden, sondern man muss sich dem Wunsch danach hingeben, in gewisser Weise sich ergeben. Man muss es sich wortwörtlich leisten können. Ohne Scham oder Schuldgefühl. Ein Guilty Pleasure ist kein Pleasure. Pleasure steht dafür, sich selbst und anderen etwas gönnen zu können, Eigennutz und Altruismus nicht im Widerspruch, sondern in einer kongenialen Ergänzung. Aus dieser beinah idealistischen Betrachtung heraus sorgt Pleasure als Haltung auch für Irritationsmomente, für Frustration, ist in gewisser Weise die reinste Form der Provokation.
Die finale Aussage ist mehr oder weniger: Doch geht es bei Pleasure nicht um eine große Bewegung, sondern um eine große Bereitschaft zur Hingabe. Für manche mag das bedeuten, in elitäre Räume einzudringen, die ihnen qua Herkunftsgeschichte nicht selbstverständlich erscheinen. Für andere, sich den Themen zu widmen, für die sie verachtet werden. Für die einen ist Pleasure der ungestörte Schlaf, für die anderen die Limonade auf der Dachterrasse, für die nächsten die Markenklamotte. Pleasure ist immer eine persönliche Anspruchsgeste und zugleich eine politische Intervention. Das fotzige Kleid, die Discounter-Delikatesse, die Müdigkeit das bin nie nur ich. Da sind immer die anderen, das ist der gesellschaftliche Kontext, die Fallhöhe, die Provokation. Pleasure ist ein Manifest, weil das gute Leben allen zusteht.
Das kam zwar schon irgendwie rüber, und gut schreiben kann Jovana Reisinger allemal. Pleasure ist somit insgesamt ein gut geschriebenes Buch, das für meinen persönlichen Geschmack jedoch etwas zu viel Selbstdarstellung enthielt. Ich vergebe 3 von 5 Sternen.
Vielen Dank an den Verlag und an NetGalley für dieses Rezensionsexemplar!