Wenn man sich durch Jürgen Ledderboges Insider-Buch >Friedrichstadtpalast: Vom Neubau zum Denkmal< liest, hat man manchmal das Gefühl, das Bauwerk selbst hätte die Feder geführt. Viel Stolz, Drama und architektonischer Furor waltet da zwischen den Zeilen. Beton spricht, Stahlträger stöhnen und der Drehmechanismus der weltgrößten Theaterbühne funkelt. Der aus Sachsen stammende Dipl.-Ing.-Ök. Ledderboge, damaliger Oberbauleiter des zu DDR-Zeiten von 1981 bis 1984 unter seiner Führung errichteten neuen Berliner Friedrichstadt-Palastes, nimmt uns mit auf eine Zeitreise in die letzten Jahre eines Staates, der trotzig-triumphierend den Beton gewordenen Beweis erbringen wollte und ja tatsächlich erbracht hat: Auch der Sozialismus kann Glitzer und Glamour.
Mit detailverliebtem Ernst (manchmal fast etwas zu viel des Guten) schildert Ledderboge die Planungsphasen, die Kämpfe um Material, die ideologischen Grabenkämpfe zwischen Funktion und Repräsentation und immer wieder diese beinahe zärtliche Zuwendung zu einem Bauwerk, das so viel mehr ist als ein Theater. Es war und ist Schaufenster und Vision. Dabei bleibt das Buch angenehm unpathetisch, wo es leicht ins Heldenepos hätte kippen können. Der inzwischen 88-jährige Jürgen Ledderboge berichtet, protokolliert, erinnert mit der soliden Autorität eines Bauexperten, der sich auch dann noch für die Statik einer Traverse interessiert, wenn der Leser längst beim Bühnenprogramm angekommen ist. Und doch, zwischen technischen Zeichnungen und lockeren Bauleiter-Anekdoten blitzt immer wieder etwas auf, das man fast als Poesie bezeichnen könnte: eine Liebe zum Gewagten, zum Widersprüchlichen, zum Geltungsdrang mit Herz. Wer auf zu Leben gewordene Baupläne und historische Bilddokumente steht, wird dieses Buch lieben. Wer sich für DDR-Geschichte interessiert, auch. Und wer sich einfach fragt, wie ein im Sozialismus geschaffenes Theater zur Glitzerkathedrale von internationalem Rang wurde, zum spätesten seit 2020 viel bewunderten Baudenkmal und zum heute noch meistbesuchten Theater Berlins arrivierte, der sollte sich dieses ungewöhnliche Stück Architektur- und Theatergeschichte eines über 40 Jahre jungen hauptstädtischen Show- und Revuetempels nicht entgehen lassen. Zwischen Staub und Schweiß, Mut und Machertum ist hier nämlich auch ein bisschen Zauber und Zuversicht in gutes Gelingen verborgen.
Manfred Weghenkel, Berlin