Besprechung vom 01.02.2021
Recht auf Bargeld
Abschaffung wäre verfassungswidrig
Im Juni fand im Bundestag ein Fachgespräch über die Nutzung des Bargelds in Deutschland statt. Dabei wurde deutlich, dass der Anteil der Barzahlungen jährlich um ein Prozent sinkt. In der Pandemie beschleunigt sich diese Entwicklung noch. Dabei hat Bargeld viele Vorteile. Es ist "geprägte Freiheit", bewahrt die Privatsphäre, funktioniert ohne Strom und schützt vor Negativzinsen. Allerdings sind die Materialkosten bei Ein- und Zwei-Cent-Münzen hoch. Deshalb wird darüber nachgedacht, sie abzuschaffen. Das würde wohl kaum jemanden stören. Der 500-Euro-Schein ist bereits ausgelaufen. Die damit erhofften Ziele bei der Kriminalitätsbekämpfung haben sich bislang nicht erfüllt. Was aber ist mit den anderen Münzen und Scheinen, dürfte man diese abschaffen?
Nun schaltet sich ein Jurist mit einer interdisziplinären Untersuchung in die Debatte ein und entwickelt neue gewichtige Argumente. Sie stammen vor allem aus dem Verfassungsrecht. Julian Eibl meint, dass eine totale Abschaffung unzulässig sei, da anonymes Bezahlen dann unmöglich wäre. Wer Buchgeld nutzt, hinterlässt Zahlungsdaten. Deren Verknüpfung mit anderen Daten bezeichnet Eibl als Gefährdungspotential für Privatpersonen. Es bestünden dann umfangreiche Möglichkeiten sowohl des Staates als auch Privater, gewisse Rückschlüsse auf persönliche Verhältnisse, Gewohnheiten und Charaktereigenschaften zu ziehen. Als Beispiel nennt er die elektronische Zahlung bei einer Eheberatung oder den Kauf eines politischen Buches.
Seine klugen Argumente lassen sich teilweise auch auf Papierzeitungen und den terrestrischen Empfang von Rundfunk und Fernsehen übertragen. Gäbe es all das nicht mehr, könnte sich fast niemand mehr anonym informieren. Dagegen hält Eibl kleinere Bargeldbeschränkungen, wohl auch die Abschaffung des 500-Euro-Scheins, für zulässig. Das Anonymisierungsargument verliert allerdings an Überzeugungskraft, wenn man sieht, wie viele Menschen persönliche Daten gedankenlos an Digitalunternehmen verschenken. Manche Geschäftsmodelle funktionieren nur dank eines solchen Exhibitionismus, wie in China zu beobachten ist. Auch in Schweden wird fast nur noch bargeldlos bezahlt. Aber die Deutschen sind anders. Sie hängen an einer der klügsten Erfindungen der Menschheitsgeschichte, dem Bargeld. Der Jurist Eibl zeigt nun: mit Recht.
JOCHEN ZENTHÖFER
Julian Eibl: Privatheit durch Bargeld?, Mohr Siebeck, Tübingen 2020, 546 Seiten
© Alle Rechte vorbehalten. Frankfurter Allgemeine Zeitung GmbH, Frankfurt.Es wurden noch keine Bewertungen abgegeben. Schreiben Sie die erste Bewertung zu "Privatheit durch Bargeld?" und helfen Sie damit anderen bei der Kaufentscheidung.