"Die Tage nach dem Pflaumenregen" ist ein Roman, der nicht laut auf sich aufmerksam macht, sondern sich leise, aber eindringlich ins Gedächtnis schleicht. Karissa Chen erzählt die Geschichte zweier Menschen, Suchi und Haiwen, deren Wege sich im Shanghai der 1930er Jahre kreuzen - und sich dann Jahrzehnte später in Los Angeles wieder berühren. Dazwischen liegen Krieg, Flucht, Trennung, das langsame Verblassen gemeinsamer Erinnerungen - und doch auch das Fortbestehen einer inneren Verbindung, die sich nicht völlig auflösen lässt.Besonders beeindruckend ist, wie Chen mit Zeit umgeht: Die Handlung springt zwischen Vergangenheit und Gegenwart, zwischen kindlicher Nähe und altersmilder Distanz. Dadurch entsteht kein klassischer Spannungsbogen, sondern ein bewegendes, organisches Bild zweier Leben, die voneinander geprägt wurden - auch über Kontinente und Jahrzehnte hinweg.Es ist keine große Liebesgeschichte im dramatischen Sinn, sondern eine zarte Erkundung dessen, was Liebe nach dem Leben bedeutet. Was passiert, wenn man sich wiedersieht, ohne die gemeinsame Sprache noch zu sprechen? Wenn die Erinnerung nicht deckungsgleich ist? Wenn Nähe ein Echo ist, aber keine Sicherheit?Suchi und Haiwen sind nicht heldenhaft. Sie sind verwundbar, unsicher, oft sprachlos. Gerade das macht sie glaubwürdig. Manchmal hätte man sich gewünscht, sie würden einander mehr sagen - oder sich selbst klarer verstehen. Aber genau diese Unvollkommenheit verleiht ihnen Tiefe. Auch die Nebenfiguren - Familienmitglieder, frühere Freunde - geben dem Roman ein Gefühl von Zeitgeschichte, aber auch emotionaler Erdung.Chens Sprache ist ruhig, bildhaft, gelegentlich fast meditativ. Sie nimmt sich Zeit für Details - den Regen auf einer Fensterscheibe, den Geruch von alten Kleidern, die Form eines Familienfotos. Das ist eine große Stärke, kann aber auch herausfordernd sein: Wer auf Handlung hofft, auf dramatische Wendungen oder klare Antworten, wird vielleicht enttäuscht. Das Buch verlangt Geduld - und belohnt sie mit Tiefe."Die Tage nach dem Pflaumenregen" ist ein Roman über Vergänglichkeit, über Erinnerung, über das, was aus der Vergangenheit in die Gegenwart hinüberleuchtet - leise, undeutlich, aber spürbar. Es ist kein Buch für einen schnellen Nachmittag, sondern eines, das man langsam lesen sollte.