Besprechen wir die Welt immer noch aus der Sicht weißer, christlicher, cis-heterosexueller Männer?
Auf sehr unterhaltsame und informative Weise beschreibt Leonie Schöler in ihrem Buch, wie Frauen von berühmten Männern ihres geistigen Eigentums beraubt wurden oder wie Frauen im Laufe der Geschichte einfach vergessen wurden.
Ihre Einordnung im historischen Kontext ist spannend geschrieben, sehr genau recherchiert und belegt, von der französischen Revolution bis heute, wie schwer es für Frauen war und ist, akzeptiert und gesehen zu werden.
Sämtliche antifeministische Bestrebungen, dienen dem Zweck, um ein Feindbild zu entwickeln und das Patriarchat mit seinen Vorteilen für die Männer zu bewahren und Frauen ihre von Männern definierte Rolle vor allem als Ehefrau und Mutter zuzuweisen. Es ist ein systemisches Problem, das die Autorin aufdeckt und benennt, das Patriarchat, insbesondere weiße Männer aus bürgerlichen Schichten, schützt sich selbst, indem sie Frauen draußen halten.
Das gilt durchaus auch für Frauen mit akademischer Bildung.
Die Ehe ist dann oft das Ende ihrer wissenschaftlichen Karriere, es sei denn sie arbeitet fleißig im Hintergrund für ihren Mann.
Jenny Marx arbeitet als unbezahlte Sekretärin für ihren Mann Karl, bald auch die Töchter, vor allem Eleanor, die der Vater stark an sich bindet.
Die Liste der Wissenschaftler*innen und Künstler*innen ist lang:
Lucia Moholy, Fotografin wie ihr Mann Laszlo Moholy-Nagy, fotografiert für die Bauhaus-Bücher und wird nicht erwähnt, Walter Gropius eignet sich die Negative an, stellt ihre Bilder erfolgreich in New York aus, ohne ihren Namen zu nennen.
Bertold Brecht, der gern Mitarbeiterinnen zu Geliebten macht, Arbeits- und Liebesbeziehung vermischt, ohne Elisabeth Hauptmann wäre die Dreigroschenoper sicher nicht zustande gekommen, aber auch Margarete Steffin oder Ruth Berlau haben wichtigen Einfluss auf das künstlerische Schaffen Brechts gehabt.
Pablo Picasso ist bekannt dafür, dass seine Geliebte auch seine Muse war.
Interessant ist auch, dass ein Nobelpreis nachweislich für gestohlene Daten und Ergebnisse an einen Mann, Watson vergeben wird, der es später sogar in seiner Biographie zugibt, dass er sich Forschungs- und Laborergebnisse von Rosalind Franklin angeeignet hat.
Lise Meitner, berühmte Wissenschaftlerin muss aus Deutschland fliehen, weil sie Jüdin ist, ihr Forschungspartner Otto Hahn bekommt 1944 den Nobelpreis für Chemie verliehen.
Jocelyn Bell Burnell wird bei dem Nobelpreis für Physik übergangen, stattdessen bekommt ihn ihr Doktorvater Tony Hewish.
Olympische Disziplinen wurden von gemischtgeschlechtlich zu getrenntgeschlechtlich geändert, sofern eine Frau Siegerin war (Skeet:1992), bestimmte Sportarten waren für Frauen verboten.
Frauen veröffentlichen ihre Bücher unter männlichem Pseudonym, damit es verkauft werden kann, der Buchmarkt und auch der Buchkritikmarkt, das Verlagswesen sind nach wie vor männlich dominiert.
Frauen werden auch in der Geschichtsschreibung vergessen, z.B. die Antifaschistinnen in Spanien gegen Franco.
Frauen kämpfen als Soldatinnen, aber Vergewaltigung und andere Formen sexueller Gewalt als Mittel der Kriegsführung werden immer noch von Männern praktiziert.
Das sind nur einige der zahlreichen Beispiele.
Ein positives Beispiel stärkt die Hoffnung für mehr Sichtbarkeit, auch im Sinne einer neu erstarkten Erinnerungskultur: die Widerstandskämpferin Noor Inayat Khan in England.
Die Autorin setzt sich sehr analytisch und differenziert sich mit den Frauenrechtsbewegungen der verschiedenen Generationen auseinander, Selbstbestimmungsrecht, Geschlechtsidentität, Intersektionalität, sind wichtige Themen, die im Laufe der historischen Entwicklung auch neu betrachtet werden müssen.
Ein wirklich kluges, spannendes Buch.