
Besprechung vom 27.10.2025
Furcht vor Mäusen hatte sie nie
Von Ludwig Bemelmans stammt ein Klassiker der amerikanischen Kinderliteratur. Nun hat Nadia Budde den alten Text neu übersetzt: "Madlen" ist ein Triumph.
Die Geschichte von "Madeline" ist rasch erzählt: Ludwig Bemelmans, geboren 1898 in Meran, aufgewachsen in einem Tiroler Hotel und einer Brauereigaststätte in Regensburg, ist der Nachwelt stets als rebellischer und unangepasster Junge beschrieben worden. Weil er sich, so die Erzählung, nirgendwo recht einfügen konnte, schickte ihn seine Mutter zu seinem in Amerika lebenden Vater, wo Ludwig nach Lehr- und Wanderjahren zwischen Hotels, Restaurants und dem Militär im Jahr 1939 ein Buch veröffentlichte, das zu einem Klassiker der amerikanischen Kinderliteratur avancierte. Das ist "Madeline".
In den Vereinigten Staaten sind bis zu Bemelmans Tod 1962 mehrere Geschichten über das kleine Mädchen erschienen, das in einer Art Mädchenpensionat in Paris aufwächst, zusammen mit elf anderen Mädchen. Mal geht Madeline auf eine Reise nach London (erschienen 1961), mal feiert sie Weihnachten (1956), mal wird sie von einem Hund aus der Seine gerettet (1954). Madeline ist ein aus der Reihe tanzendes, unangepasstes Kind. Eine furchtlose weibliche Identifikationsfigur, die, zumindest aus Perspektive amerikanischer Leser, vermutlich einen Platz verdient hätte neben anderen Mädchen ihrer Art - neben Heidi, Pippi Langstrumpf, Ronja Räubertochter.
Im deutschsprachigen Raum hat "Madeline" zwar nicht den Kultstatus erreicht, der ihr in Amerika schnell zuteilwurde, aber gelesen wird sie sehr wohl, bis heute. Es gibt gleich fünf Übersetzungen zumindest des ersten Bandes, die den schlichten Titel "Madeline" auch im Deutschen tragen. Nun ist eine weitere Übersetzung erschienen, diesmal unter dem Titel "Madlen", dessen Buchstaben sinnbildlich frei über das Cover tanzen. Die Autorin und Illustratorin Nadia Budde hat den Text für den Kölner Péridot Verlag übertragen. Eine Arbeit, für die sie sich, wie sie in einem Interview verriet, viel Zeit genommen habe, gerade weil die Kürze des Originaltextes natürlich äußerste Präzision verlangt.
Ihre Übersetzung wirkt angemessen altmodisch, aber sie hat nichts Verstaubtes. Der von Heinz Strix 1954, angeblich in Absprache mit Ludwig Bemelmans selbst, übertragene Beginn des Textes ("In einem laubumrankten Haus / gehn zwölf Mädchen ein und aus") klingt jedenfalls schön schlackenlos im Vergleich zu den Worten, die Nadia Budde gefunden hat: "In einem Haus in Paris, an das sich Weinranken schmiegen, / lebten zwölf kleine Mädchen in zwei strammen Riegen." Dabei gestattet sie sich mit dem seltenen, auch seltsam anmutenden Wort "Riegen" zwar eine gewisse Freiheit im Umgang mit dem im englischen Original verwendeten "lines". Aber sie wahrt eine weitaus größere semantische und rhythmische Nähe zu Bemelmans Text, der lautet: "In an old house in Paris that was covered with vines / lived twelve little girls in two straight lines".
An anderer Stelle aber überträgt sie den englischen Text ("She was not afraid of mice - she loved winter, snow and ice. To the tiger in the zoo / Madeline just said, "Pooh-pooh") mit makelloser Wort- und Reimtreue ("Vor Mäusen erschreckte sie sich nie, Schnee, Eis und Kälte liebte sie. Zum Tiger im Zoo / rief sie einfach: "Hey-ho!"). Lediglich am Ende des Buches, als alle elf Mädchen nach der Rückkehr vom Besuch im Krankenhaus ihren Neid auf die tapfere, stolze Madeline weinend zum Ausdruck bringen, überträgt Budde das englische Original "And all the little girls cried, ,Bohoo, we want to have our appendix out, too!'" mit dem freieren "Die Mädchen weinten, sie weinten, oje: ,Wir wollen jetzt auch eine Blinddarm-OP!'". Sie selbst hat just diese Stelle in besagtem Interview als die am schwersten zu übersetzende, aber auch als ihre gelungenste bezeichnet.
Die Sorgfalt, mit der hier gearbeitet wurde, setzt sich fort in dem kontrastreichen, farbfrischen Druck von Bemelmans Illustrationen, für die der Verlag nach eigenen Angaben aus den vielen bereits erschienenen Ausgaben der "Madeline" auf jene zurückgriff, die die beste Reproduktion der Originalzeichnungen aufwiesen. Die Originale selbst hatte Bemelmans verkauft. In dem kurzen Nachwort, das zu Entstehungs- und Rezeptionsgeschichte interessante Anekdoten zusammenträgt, ist auch zu erfahren, dass die Geschichte von Madeline von einem Krankenhausaufenthalt Bemelmans am französischen Atlantik inspiriert wurde - von einem fait divers also, wie es täglich zwar viele gibt, aber nur wenige, die Tag und Jahr so überdauern wie bei Ludwig Bemelmans. LENA BOPP
Ludwig Bemelmans: "Madlen".
Aus dem Englischen von Nadia Budde. Péridot Verlag, Köln 2025.
52 S., geb., 16,- Euro.
Ab 6 J.
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