Truman Show goes Tiny House
Der unwiderstehliche neue Roman von Mario Wurmitzer
Emil lebt in einem Tiny House am Rande einer Musterhaussiedlung. Sein Wohnerlebnis wird per Livestream übertragen. Als das Tiny House abbrennt, muss er weiterziehen . . .
Eine Geschichte über die Suche nach dem ganz besonderen Wohnglück, Einsamkeit im digitalen Zeitalter, Erinnerungslücken und Vernetzungstreffen von Rechtsextremen - herrlich bissig und mit viel Witz erzählt.
Mario Wurmitzer schickt seinen Helden »zwischen Fertigteilhaus und Social-Media-Management auf den langen Weg in die Selbstoptimierung«. Aus der Jurybegründung des Floriana-Literaturpreises
»Ein tragikomischer Held, der sich durch eine skurrile Geschichte treiben lässt, ohne getrieben zu sein. Ich wäre gern mit ihm befreundet. « Marion Brasch
»Ausgezeichnetes Buch. Die absurd-realistische Welt von Mario Wurmitzer hat Hit-Potenzial! « Barbi Markovic
Besprechung vom 27.03.2025
Aber hier leben? Nein, danke!
Größenwahn passt in die kleinste Hütte: Mario Wurmitzers satirischer Roman "Tiny House" zwingt die dramatischsten Themen der Gegenwart unter ein Dach.
Es könnte schlimmer sein", beschwichtigte der Titel von Mario Wurmitzers 2023 erschienenem Roman. Wer ihn las, musste das bald für Sarkasmus halten, spielt er doch in einer Welt, in der ein Konzern namens "Alpha Solutions" alle Lebensbereiche dominiert und kontrolliert, in der jede Unterscheidung von Arbeit und Freizeit aufgehoben ist und den Menschen Tabletten verabreicht werden, die Erinnerungen unterdrücken.
Der Autor betonte, angesprochen auf den "dystopischen" Charakter des Buches, gern, dass ihm die Romanwelt gar nicht so weit entfernt von der Wirklichkeit schien. Wurmitzer, geboren 1992 im niederösterreichischen Mistelbach, hat schon Erfahrung in verschiedenen erzählerischen und dramatischen Genres. Im Alter von achtzehn Jahren debütierte er mit einem Jugendroman. Er studierte in Wien Germanistik und Geschichte und veröffentlichte Kurztexte, richtete seinen Fokus zunächst aufs Theater. In dem Stück "Werbung Liebe Zuckerwatte" (uraufgeführt 2017) sitzt ein Paar im Romantikwaggon des Riesenrades am Prater, während unter ihnen Chaos ausbricht. "Die Veredelung der Herzen" (uraufgeführt 2023) handelt von einem Glücksinstitut, das mittels künstlicher Intelligenz Lebensläufe und Paarbeziehungen optimieren soll. Mit seinem Roman "Im Inneren des Klaviers" (2017) stieß Wurmitzer vor ins Reich der Phantastik.
Das nun vorliegende Buch, aus dem er beim Bachmannpreis-Wettbewerb 2023 schon einen Auszug las, scheint Elemente aus Wurmitzers sämtlichen bisherigen Schreibexperimenten zu verbinden, aber es wirkt zunächst einigermaßen realistisch. Zumindest wenn man glaubt, dass eine Agentur existieren könnte, die Menschen dafür castet, "mitreißend zu wohnen". Für die Firma "Modern Home" versucht der Erzähler des Buches genau das, und er wird dabei gefilmt. Am Rande einer Musterhaussiedlung bewohnt er ein "Tiny House" und soll es glaubhaft beleben, ohne dabei in die Kamera zu starren.
Ein bekanntes Motiv greift Wurmitzer wieder auf: "Im Tiny House ist es nicht immer einfach, Berufliches und Privates zu trennen. (. . .) Im Grunde ist doch sowieso alles immer irgendwie auch Arbeit." Emils eigentliche Arbeit ist schriftstellerischer Natur: Er sitzt parallel an einem Buch über Rainald Goetz und an "literarischen Texten über Paare, die sich Wohnungen oder Häuser kaufen". Aber motiviert von der Frage eines Freundes - "Warum machst du nicht mal was, das die Leute interessiert?" -, hat Emil sich auf den Brotjob des Schauwohnens eingelassen.
Bald wird der Livestream davon sehr beliebt, und Emil schreibt nichts mehr, wohnt nur noch. Dann überschlagen sich die Ereignisse. Aufgestiegen in ein Baumhaus, fällt der Schauwohner tief und sitzt schon im zweiten Kapitel auf der Straße. Bei Wurmitzer purzeln die Themen der turbokapitalistischen und durchdigitalisierten Welt nur so vom Romanhimmel, und ehe er Fahrradkurier bleibt, heuert Emil bei einem Bezahldienstleister namens "PayNice" an. Dessen Recruiter hatte ihn angeschrieben: "Dog, was geht? Hab deinen Stream sehr gemocht. Lust auf Collab?"
Zu dieser Zusammenarbeit kommt es, weil Emils gefilmter Rausschmiss aus dem Baumhaus "viral gegangen" ist und ihn zu einem Social-Media-Star gemacht hat. Folglich ist er attraktiv als Multiplikator, und wo einmal viele Klicks sind, folgen rasch noch viele mehr, dank der Verbreitung durch "Rapper, Fußballer und Promis der Kategorien A, B und C". Obwohl er bald als Berater Dienstreisen nach Malaysia macht, verliert Emil die Ungnädigkeit der Aufmerksamkeitsökonomie nicht aus dem Blick, wenn er in Kuala Lumpur Gedichte von Friederike Mayröcker liest: "Aus irgendeinem Grund geht Lyrik nur selten viral, das ist schon ein großes gesellschaftliches Problem."
Im Handlungsfluss, der um die globalen Geschicke von "PayNice" mäandert, platziert Wurmitzer anekdotische Inseln, auf denen es um österreichische Politik, die sexuelle Orientierung der Fans von Andreas Gabalier oder Ratgeberbücher in Jugendsprache ("Vom Lauch zum Boss") geht. Ins Wasser wirft er außerdem zahlreiche Anspielungs-steinchen, auf denen Zitate aus dem Nibelungenlied und aus Tocotronic-Liedtexten stehen - die versinken manchmal auch mit nur kleinem Plumps.
Aus dem Strom Richtung Katastrophe steigt der Erzähler noch rechtzeitig heraus, um in einen ganz anderen zu geraten: Dieser Erzähler ähnelt nämlich immer mehr dem Autor und beschäftigt sich bald mit "autofiktionalem Theater", bevor er doch noch Richtung Liebesgeschichte abbiegt, Beziehungsstatus freilich "kompliziert". Alles etwas zu viel für diese Konstruktion? Vielleicht, aber Wurmitzer bringt es am Ende sogar irgendwie noch wieder unter das Dach des "Tiny House" vom Beginn, aus dem eine Maschine für kleines Glück mit Aussicht auf mehr wird - und sehr amüsant zu lesen ist das allemal. JAN WIELE
Mario Wurmitzer:
"Tiny House". Roman.
Aufbau Verlag,
Berlin 2025.
221 S., geb.
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