Für reine Unterhaltung zu lahm und für eine literarische Seelenstudie zu oberflächlich und seicht.
Feines Essen, dazu erlesener Wein. Hinterher eine kubanische Zigarre und ein alter Jahrgangs-Armagnac. Schuhe und Anzug aus Maßanfertigung. Eine Villa am See. Und in der Garage ein schneller Wagen aus jener Zeit, in der noch schöne Autos gebaut worden sind.Keine Frage, Martin Suter weiß das gute Leben zu schätzen - und er gönnt es nur zu gern seinen Figuren, sei es der Dandy-Ermittler Allmen, sei es hier bei "Melody" der alte Millionär Stotz, der es zu zelebrieren versteht und seinen jungen Adlatus Tom in den Genuss der feinen Dinge einzuweihen beginnt.Stotz ist moribund und hat Tom engagiert, seinen Nachlass zu ordnen, ein Berg unsortierter Dokumente, die gesichtet und abgelegt werden müssen im Hinblick auf das bald zu erwartende Ableben des Alten und auf die Tatsache, dass er als Geschäftsmann, Politiker, Strippenzieher und hochrangiger Offizier (das ist die Schweiz, Herrschaften!) im Blick der Öffentlichkeit steht. Ungeachtet seiner erheblichen Erfolge hat Stotz allerdings in den vergangenen knapp fünfzig Jahren nur eines beschäftigt: Das spurlose Verschwinden seiner Verlobten Melody kurz vor der geplanten Hochzeit. Toms eigentlicher Job ist es, sich diese Geschichte anzuhören und dann - nach dem Tod seines Auftraggebers, der ihn zum gut vergüteten Testamentsvollstrecker macht - das Rätsel zu lösen und den Verbleib der Verlobten in Erfahrung zu bringen.Wie stets bei Martin Suter liest sich das leicht und angenehm, es geht runter wie die Ravioli von Stotzens wunderbarer Köchin Mariella. Aber wenn man in diesem Buch die ausgedehnten Passagen mit Feinschmecker- und Lifestyleporno ausblendet, bleibt nicht mehr viel als ein reicher Alter, der von seiner Jugendliebe schwärmt. Am Ende bekommen wir eine Wendung, die ich zwar nicht vorhergesehen habe, die aber weder sonderlich originell ist, noch fürchterlich viel zum Bild beitragen kann, das wir bis dahin von diesem Peter Stotz haben.Suter interessiert sich nämlich weit mehr für die Stimmigkeit seiner Menüs und die passenden Stoffe der Anzüge als für seine Figuren. Mir zumindest erscheinen sowohl Stotz als auch seine Melody ziemlich unglaubwürdig. Das beginnt schon damit, dass der alte Stotz angeblich keinen Magen mehr hat und dennoch (wenn auch in kleinen Mengen) ganz normal isst, was seine sizilianische Köchin auf den Tisch zaubert: Jakobsmuscheln und Rindsbraten, dazu reichlich Sherry, Wein und Digestive. Echt jetzt? Also, die Leute aus meinem Umkreis, die unter massiven Magenproblemen leiden, halten eine andere Diät! Stotz, aus mittleren Verhältnissen, ohne erkennbare außergewöhnliche Begabung, kommt über Jobs in der Unternehmensberatung und Beziehungen aus seiner Militärzeit zu geradezu märchenhaftem Reichtum, er wird Nationalrat, Generalstabsoffizier, sitzt im Verwaltungsrat von führenden Unternehmen, im Vorstand der Oper, und was weiß ich noch alles, aber das ist ihm egal, er ist kein bisschen eingenommen von sich und seinen Erfolgen, alles, was für ihn zählt, ist die Suche nach Melody.Die schöne und geheimnisvolle Melody stammt aus Marokko. Sie fühlt sich ihrer Familie und Kultur verbunden, sie leidet sehr darunter, dass die Familie einen Nichtmuslim wie Peter Stotz missbilligt - und dann arbeitet sie ausgerechnet als Buchhändlerin, dem Job, der wie kein anderer geistige Unabhängigkeit und ein tiefes Eintauchen in die Kultur, deren Bücher man unter die Leute bringt, erfordert. Das alles will hinten und vorne nicht zusammenpassen.Aber das gilt irgendwie für das ganze Buch. Martin Suter hat bei mir bisher gepunktet als eleganter Stilist (das bringt er auch hier nicht schlecht rüber), der es schafft, spannende Unterhaltungsromane mit Tiefgang zu schreiben - an "Lila, Lila" und "Ein perfekter Freund" erinnere ich mich gerne. "Melody" aber ist für spannende Unterhaltung zu lahm und für eine ernsthafte Seelenstudie einfach zu oberflächlich und seicht.