Als Mutter hat Åsa eigentlich alles richtig gemacht. Und als Schwiegermutter? Weil ihr Sohn und seine Partnerin unverhofft eine Bleibe brauchen, bietet Åsa dem Paar an, bei ihr einzuziehen. Doch sie ahnt nicht, wie sehr das neue Zusammenleben das Verhältnis zu ihrem Sohn infrage stellen wird. Aus wechselnden Perspektiven schildert Moa Herngren eine Mutter-SohnBeziehung, die vollkommen auf den Kopf gestellt wird.
Åsa und ihr Sohn Andreas hatten immer schon ein enges Verhältnis. Andreas ist Einzelkind, Åsa hat ihn allein großgezogen - sie sind ein eingespieltes Team. Deshalb ist es für Åsa keine Frage, dass sie ihm und seiner Freundin Josefin anbietet, bei ihr unterzukommen, als die beiden kurzfristig ohne Wohnung dastehen. Doch das Zusammenleben stellt Åsa vor ungeahnte Herausforderungen. Ihre Versuche, eine Verbindung zu Josefin aufzubauen, schlagen fehl. Plötzlich sieht sie sich mit nie da gewesenen Vorwürfen zu Andreas' Kindheit und Jugend konfrontiert, und sie erkennt ihren eigenen Sohn kaum wieder. Schmerzlich wird sich Åsa bewusst, dass sie nicht mehr die wichtigste Person in Andreas' Leben ist.
Besprechung vom 04.10.2025
Es ist kompliziert
Moa Herngrens Roman um eine dysfunktionale Familie
Die Schriftstellerin Moa Herngren, ehedem Chefin der schwedischen "Elle", ist keine Autorin, die durch ihre Sprache bestechen würde. Ihr Feld ist die Beziehungsdynamik, und von der gibt es reichlich in "Schwiegermutter", einem kleinen, zunächst noch recht öde wirkenden Roman. Ausgebreitet wird die Geschichte von Åsa, die ihren Sohn Andreas ohne dessen Erzeuger großzog und mit Mitte fünfzig hilflos erlebt, wie sich die Bindung zu ihm verliert.
Andreas entfremdet sich von Åsa vor allem unter dem Einfluss seiner Partnerin Josefin, aber auch alte Probleme zwischen Mutter und Sohn verstärken die Irritation. Nach dem Ereignis, das die Entfremdung anstößt, einem kleinen Zufall, der von Andreas und Josefin als Einbruch in ihre Intimsphäre empfunden wird, ist der Sohn jedenfalls wieder so "stumm" und "stur, wie er schon immer gewesen war".
Åsa verzweifelt. Ihre Expertise als Kommunikationsberaterin ist in dieser Lage nichts wert: Worte werden missverstanden und Handlungen auch, jeder Erklärungsversuch macht alles nur schlimmer. Bald darf sie nicht mal mehr das Enkelkind sehen.
Es ist eine Geschichte, die sich in vielen Familien auf ähnliche Weise abspielt - auch deshalb, weil sich die Selbstverständlichkeiten und Rollen im Zusammenspiel der Generationen verändert haben. Andererseits ist das Thema "Schwiegermutter" schon immer konfliktträchtig gewesen, man merkt es an den Myriaden von Sprüchen und Witzen zum Thema.
Herngren ist nicht nach Lachen zumute. Ihr Talent besteht darin, das Drama präzise und empathisch zu schildern, und zum Ende klebt sie ein wasserlösliches Trostpflaster drauf. Das kann man gut lesen, wenn man gerade Schwiegermutter geworden ist und bei der Vorbereitung der anstehenden Enkelgeburt alles richtig zu machen glaubt. Oder eben als Kommunikationsberaterin.
Seltsam unausgewogen ist die Form des Romans. Zwei Drittel sind aus Åsas Warte erzählt, bis das Ich für wenige Seiten Andreas und dann Josefin heißt, um schließlich ein allwissender Erzähler zu werden. Die Idee dahinter ist nicht verkehrt: Die geneigte Leserin (Leser dürfte das Buch eher selten ansprechen) soll die andere Seite der Dinge erblicken, zu der etwa Åsas Depressionen nach der Geburt von Andreas gehören oder ihre "Bestätigungssucht" nach dem Fortgang des Vaters: "Immer ging es nur darum, sie zu trösten und bei Laune zu halten."
Aber wie unfertig und zusammengerafft wirkt dieser Schluss! Der Erzählfluss bricht ab, und bevor ein neuer entsteht, ist die Geschichte auch schon vorbei. Ein Grund dafür könnte sein, dass Herngren so gut im Geschäft ist. Sie hat kurz vor diesem Roman, der in Schweden bereits 2022 erschien, Drehbücher für die Netflix-Serie "Die Patchworkfamilie" geschrieben und anschließend zwei weitere Romane, die den Zerfall einer Ehe und die Dynamik zwischen Geschwistern beleuchten. Inhaltlich haben sie zwar keinen Bezug zueinander, aber sie sind ähnlich aufgemacht und sollen in Schweden Bestseller sein. MATTHIAS HANNEMANN
Moa Herngren: "Schwiegermutter". Roman.
Aus dem Schwedischen von Katharina Martl. Verlag Kein & Aber, Zürich 2025. 368 S., geb.
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