Besprechung vom 28.01.2021
Bloß nicht fürchten, zeigt der Fotograf
Magnum-Mitbegründer Robert Capa wurde vor allem durch seine bewegten und bewegenden Fotos aus dem spanischen Bürgerkrieg und vom D-Day berühmt. Wie aber passt die legendäre Devise "Wir sind Zeugen des Vergänglichen" von Henri Cartier-Bresson, ebenfalls Mitbegründer, zur Unverrückbarkeit der Bergwelt? Robert Capa verwandelt diese entweder wie bei seiner Monte-Casino-Arbeit in einen Kampfplatz, wo alles nur für den Augenblick gilt, oder er türmt so lange Wolken in die abgründigen Schluchten der Pyrenäen, bis sie sich in pure Dynamik auflösen. In dem wunderbaren Band "Berge" mit Aufnahmen aus den Jahren 1940 bis 2019, die sich im Magnum-Archiv fanden, begegnen wir faszinierend-schroffen Felsformationen auf drei Kontinenten (Europa, Asien, Südamerika), die prima vista wie ein Gegenpol zur allgegenwärtigen Vergänglichkeit erscheinen, bei genauerem Hinsehen erweist sich aber, dass die Anwesenheit des Menschen mit den Jahren noch die unberührteste Natur verwandelt, manche sagen auch: entstellt. Der Capa-Mitstreiter Werner Bischof, als passionierter Bergsteiger wie als Fotograf ein Avantgardist, lässt 1948 in St. Moritz den Glamour - zwei Frauen räkeln sich mondän in Liegestühlen - die eben noch unberührte Bergidylle durchdringen. Er selbst kannte bei der Suche nach dem außerordentlichen Blick weder Scheu noch Furcht. Im Jahr 1954 verunglückte er in einem Hochtal der Anden. Das kurz zuvor aufgenommene Machu-Picchu-Panorama wird zum tödlichen Beleg einer grenzenlosen Leidenschaft. Fast alle Aufnahmen der Magnum-Fotografen verblüffen durch die Eigenheit der - sei es auch versehrten - Landschaften und Weltgegenden. Thomas Dworzak etwa, ein Vertreter der jüngeren Magnum-Generation, macht bei seinen Reisen durch den Nordkaukasus deutlich, wie traditionelle Lebensformen in den unversöhnten Konfliktzonen jäh abbrechen, und er erkundet, weniger als subjektiver Reporter wie Capa, sondern als teilnehmender Beobachter, der sich dabei selbst verändert, die dunkelsten Seiten der conditio humana. Alles in allem ein faszinierender Band. Man hat eben auch in Zeiten einer multimedialen Dauerpräsenz keineswegs schon alles gesehen.
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"Berge: Das Magnum Archiv" mit Texten von Nathalie Herschdorfer und Pietro Giglio. Prestel Verlag, München 2020. 240 Seiten, 230 Fotografien. Gebunden
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