
Besprechung vom 06.02.2020
Auf der Pirsch im Land der Feen
Weit mehr als hunderttausend Farbdias will der Fotograf Norbert Rosing in den vergangenen drei Jahrzehnten "gesammelt" haben, wie er es bezeichnet. Doch tatsächlich ist er eher ein Jäger auf der permanenten Pirsch nach dem, was zu verschwinden droht oder so zumindest noch nie gesehen wurde. "Meine Wildnis" nennt Rosing das, wonach er sucht. Es handelt sich dabei nicht einfach um unberührte Natur, sondern um eine sehr spezielle, radikalisierte Erfahrung, die man nicht nur in abgelegenen Fernen, sondern auch in nächster Nähe machen kann; in der Eifel etwa, im Fichtelgebirge oder in der Sächsischen Schweiz. Das Erstaunliche: Er zeigt uns eine fremde, seltsame, mächtige Welt der Felsen, der Bäume, des Wassers und des Eises, die manchen verstört. "Herr Rosing, was Sie fotografieren, gibt es ja gar nicht", soll einst eine Touristin im Yellowstone-Nationalpark zu ihm gesagt haben, die zufällig Zeugin seiner Arbeit wurde. Was sie benennt, hat vielleicht mit seinem Verfahren zu tun. In Zeiten einer ultrapräzisen, bonbonbunten Digitalfotografie kehrt Rosing zu Schwarzweiß zurück, was freilich bei ihm durch den Einsatz diverser Filter zu einem Zwischenreich hochdifferenzierter, filigraner Grautöne mutiert. Die "Wildnis" seines Blicks bleibt dabei erhalten; er opfert sie nicht einer Artifizialisierung, die paradoxerweise den Vorerwartungen des Publikums mehr zu entsprechen scheint. "Real" wirkt heute oft nur, was durch Bearbeitungsvorgänge verändert, also zum Artefakt wurde. Rosings großformatige Aufnahmen überwältigen den Betrachter, weil sie Extremes vereinen: die visuelle Recherche in Bereichen, in denen die Wirklichkeit phantastisch wird - und eine Abstraktion im Allerkonkretesten, bis im vermeintlichen Chaos Strukturen und fast schon grafische Formen sichtbar werden. So verwandeln sich seine Welt-Bilder in einen Zauberbezirk, in dem man bisweilen noch die Präsenz von Feen zu spüren meint.
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"Wildnis" von Norbert Rosing. Mit Texten von Norbert Rosing, Heiner Henninges und Peter Karbe. Tecklenborg Verlag, Steinfurt 2019. 156 Seiten, 95 Fotos. Gebunden
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