Wie Peggy Guggenheim, eine der glamourösesten Figuren des 20. Jahrhunderts, zu der legendären Kunstsammlerin und Ikone wurde, die wir heute kennen
Schon als Mädchen rebelliert Peggy Guggenheim gegen die Etikette der New Yorker Upperclass. Nach dem Tod ihres geliebten Vaters ist sie kaum erwachsen, als sie die jüdische Familiendynastie verlässt, um sich in das aufregende Paris der 1920er Jahre zu stürzen: Pernod mit Djuna Barnes, Shootings mit Man Ray, Affären mit Samuel Beckett und Max Ernst. Ihre mondänen Partys schreiben Geschichte. Doch Peggy ist entschlossen, der Welt mehr zu hinterlassen.
Von New York über Paris bis nach Venedig erzählt »Peggy« von der leidenschaftlichen Suche nach persönlicher Freiheit und vor allem vom Glauben einer jungen Frau an die transformative Kraft der Kunst - und an sich selbst.
Rebecca Godfrey widmet sich in ihrem letzten Roman einem bislang unerzählten Lebensabschnitt der legendären Kunstsammlerin und Milliarden-Erbin Peggy Guggenheim. Die triumphale Geschichte einer Selbstermächtigung.
Rebecca Godfrey starb, kurz bevor sie »Peggy« vollendet hatte. Ihre Freundin, die erfolgreiche US-amerikanische Autorin Leslie Jamison, vollendete das Herzensprojekt ihrer Freundin.
Besprechung vom 01.06.2025
Kunst, Sex und Unfälle
Zehn Jahre hat Rebecca Godfrey an ihrem Roman "Peggy" geschrieben. Dann starb sie - das Manuskript über die amerikanische Galeristin und Sammlerin beendete ihre Freundin Leslie Jamison. Das erstaunliche Buch zeigt Peggy Guggenheim von einer neuen Seite.
Von Julia Voss
Als die Autorin dieses Romans ihre Peggy Guggenheim sagen lässt, "seit dem Tod meines Vaters sind wir verflucht", wusste sie, dass sie ihr Buch nicht würde beenden können. Dass sie es nicht überleben würde. Mit 54 Jahren starb Rebecca Godfrey an Lungenkrebs. "Peggy", Godfreys Roman über die berühmte Galeristin, Sammlerin und Händlerin, in deren Leben fast alle wichtigen Personen zu früh starben, war erst zu zwei Dritteln geschrieben. Der letzte Teil fehlte.
Warum "Peggy" trotzdem erscheinen konnte? Zu den Wundern dieses erstaunlichen Romans gehört seine Entstehungsgeschichte. Die Zeitschrift "New Yorker" hat vor einiger Zeit die Rahmenhandlung aufschreiben lassen, ohne die "Peggy" nicht zu einem von der Kritik gefeierten Werk hätte aufsteigen können. Die Bedingung der Möglichkeit war eine Freundschaft. Das unvollendete Manuskript, das Godfrey hinterließ, übernahm eine befreundete Schriftstellerin und schrieb es weiter. Die Frauen waren einander vorgestellt worden, nachdem Godfrey bereits ihre Krebsdiagnose erhalten hatte. Beide hatten sich in wenig Zeit viel zu erzählen. Sie waren Mütter von Töchtern. Sie ärgerten sich über Misserfolge. Sie unterrichteten literarisches Schreiben an der Columbia University in New York. Und sie liebten die Literatur, das Schreiben, in Büchern zu leben. Leslie Jamison heißt die Autorin, die "Peggy" zu Ende schrieb und das Manuskript in ein Buch verwandelte. Jamisons Name steht klein auf dem Cover, wie ein Untertitel.
"Peggy", der Roman, ist also ein Haus mit drei Etagen. Das Dachgeschoss hat Leslie Jamison hinzugefügt. Erster Stock und Erdgeschoss stammen von Rebecca Godfrey. Und dann gibt es natürlich noch das Fundament, die Basis, ohne die es überhaupt kein Haus geben könnte: Peggy Guggenheims Autobiographie. Das Skandalbuch erschien 1946 zum ersten Mal, anschließend in mehreren Fassungen, mal mehr, mal weniger voll mit irrwitzigen Anekdoten und Geschichten. Auf Deutsch erhielt es den Titel "Ich habe alles gelebt".
Peggy Guggenheim selbst schrieb darin über Kunst, Liebe, Misserfolge und Sex so indiskret und lustig wie kaum jemand vor oder nach ihr. Ihre missglückte Nasenoperation behandelte sie so offenherzig wie den pingeligen James Joyce. Von ihren Liebschaften berichtet sie so freimütig wie von ihren Feindschaften. Dazu erfand sie einen rasenden Erzählstil, der Pointen mit der Geschwindigkeit einer Tennisballmaschine lieferte.
Was für ein Roman also ist "Peggy"? Einer, der wie die Autobiographie aus der Ich-Perspektive erzählt wird. Und zugleich einer, der das Tempo etwas herunterschraubt, ohne betulich zu werden. Während die historische Autobiographie eine wilde Ereignisgeschichte ist, geht der Roman den Verbindungen nach, die ein Geschehen mit dem anderen verknüpfen könnten.
Er konzentriert sich auf etwa zwei Jahrzehnte in Peggy Guggenheims Leben. Das erste Kapitel beginnt in den frühen Teenagerjahren in New York. Im letzten Kapitel - vor dem Epilog - ist Guggenheim vierzig Jahre alt. Es ist das Jahr 1938, in dem Guggenheim ihre Galerie in London eröffnet. "Guggenheim Jeune", so der Name ihrer Galerie, ist nach dem berühmten Vorbild Bernheim-Jeune in Paris benannt. "Die ist nicht mehr so jeune", sagt im Roman die Mitarbeiterin von Peggy Guggenheim, "aber Vincent van Gogh wurde dort zum ersten Mal ausgestellt."
Der Satz steht beispielhaft dafür, wie der Roman vorgeht. Zum einen ist es ein Ausspruch, der mit einiger Wahrscheinlichkeit von Guggenheims Mitarbeiterin hätte gesagt werden können. Zum anderen liefert die Anmerkung mehr als nur historischen Kontext. Sich nach van Goghs erstem Galeristen zu benennen, heißt, Großes vorzuhaben. Guggenheim ist mit vierzig Jahren eine ehrgeizige Frau geworden. Sie wird, wie wir wissen, in den folgenden Jahrzehnten Kunstgeschichte schreiben. Mehr noch: Sie wird zu einer Weltenschöpferin werden, einer, die Bühnen für ganze Epochen schafft, vom späten Surrealismus bis zum frühen Abstrakten Expressionismus.
Wenn sich der rote Faden, den Godfrey in ihrem Roman verfolgt, auf eine Frage bringen lässt, dann die folgende: Wie ist es dazu gekommen? Wie wahrscheinlich war es, dass die mittlere Tochter einer ebenso berühmten wie schwierigen Familie zu der wurde, die wir kennen? Die Antwort: ziemlich unwahrscheinlich.
Warum? Zum einen beschäftigen Rebecca Godfrey die schrecklichen Unfälle, die Peggy Guggenheims Leben durchziehen. Der Vater: ertrinkt als Passagier der Titanic. Die geliebte ältere Schwester Benita: stirbt bei der Geburt des ersten Kindes, wie auch das Baby. Die jüngere Schwester Hazel: verliert beide Söhne, als diese in ihrem Beisein vom Dach eines Appartementhauses stürzen, dreizehn Stockwerke tief, ein Unfall, dessen Umstände sich nie ganz aufklären lassen. Es sind diese Todesfälle, die bei Peggy Guggenheim das Gefühl entstehen lassen, die Familie sei mit einem Fluch belegt worden.
Zum anderen beschreibt Godfrey das unheimliche Amerika, das seinen Schatten auf Peggy Guggenheim wirft. In dem New York, in dem sie aufwächst, gibt eine Elite den Ton an, die reich, weiß und christlich ist und den Rest der Welt für unterlegen hält. Es ist ein Amerika, das auch F. Scott Fitzgeralds "The Great Gatsby" bevölkert. Peggy Guggenheims Mutter schätzt es als so dauerhaft ein, dass sie ihren Töchtern Sprachunterricht geben lässt, damit sie den richtigen Akzent lernen. "Ein Mädchen sollte seine Ahs am Ende eines Satzes auf bestimmte Art betonen", lässt Godfrey ihre Peggy erklären, "sollte die Härte von t und n mildern." Als Belohnung winkt der richtige Tanzpartner auf dem Debütantinnenball. Die Schwester Benita brilliert bei den Übungen. Peggy schafft sich ein eigenes Universum aus Kunst und Literatur, von Charlotte Brontës "Jane Eyre" bis zu Dantes "Göttliche Komödie".
Trotzdem, obwohl die Mutter alles versucht, um ihre Kinder zu mustergültigen höheren Töchtern heranwachsen zu lassen, ist die Abwertung der jüdischen Familie allgegenwärtig. Als die Verwandtschaft in New Jersey besucht wird, liegt in der Nachbarschaft ein Hotel, das Juden den Zutritt verbietet. In New York werden sie abfällig die "Guggs" genannt. Peggy Guggenheim bucht sich unter falschen Namen in Hotels ein, nicht ohne literarische Anspielungen. Benita, ihre Schwester, versucht, ihr den Ernst der Lage zu erklären. Selbst wenn die Familie bereits vom Präsidenten zum Dinner eingeladen worden sei, würden sie trotzdem Gäste in Amerika bleiben. In Benitas Worten zu Peggy: "Du solltest den Portiers in Nummer 1125 nicht sagen, dein Name sei Raskolnikow. Beim leisesten Verdacht, dass wir seltsam oder komisch sind, die Guggs, ist es mit uns hier vorbei."
Godfrey hat zehn Jahre lang recherchiert, um ihren Roman zu schreiben. Sie hat Literatur gewälzt. Archive durchforstet. Briefwechsel ausgewertet. Aus diesen Nachlässen und postum veröffentlichten Dokumenten ist vieles eingegangen, das Peggy Guggenheim zu Lebzeiten unveröffentlicht oder unerzählt ließ. Zu Neujahr 1938 etwa, wenige Wochen bevor sie ihre Galerie in London eröffnete, teilte die knapp Vierzigjährige einer Freundin per Brief mit: "Ich bin in Paris, mit der Arbeit an meiner Galerie zugange und am Vögeln." Die Passage findet sich genauso in "Peggy". Der Liebhaber ist der junge Samuel Beckett, die vielleicht größte, schönste und traurigste Affäre und das vorletzte Kapitel im Roman.
Wie also wird Peggy Guggenheim, wer sie ist? Godfrey, nur so viel sei verraten, lässt in die historische Gemengelage das Geschenk unwahrscheinlicher Freundschaf ten platzen. Samuel Beckett wird in Paris einer dieser Freunde sein, auch wenn er Peggy Guggenheim das Herz bricht. Beckett selbst tritt wie ein Fremder in der Kunstwelt auf, die der Roman ebenso wenig idealisiert wie die New Yorker Millionäre.
Guggenheims Reichtum weckt viele Begehrlichkeiten bei der Bohème, auch Neid und Missgunst. "Miss Moneybags" lautet ein abfälliger Spitzname. Bei Guggenheims erstem Ehemann, dem Dichter und Maler Laurence Vail, sorgt das finanzielle Gefälle regelmäßig für Wutausbrüche. Vail schlägt und schubst seine Frau. Um sie zu demütigen, schmiert er ihr, am liebsten vor Publikum, auch den gemeinsamen Kindern, Marmelade in die Haare. Auch das ist historisch verbürgt.
"Peggy", der Roman, ist auch ein fortdauerndes Gespräch, das die Ich-Erzählerin führt. Mit Freundinnen. Der Mutter. Künstlerinnen. Künstlern. Den Schwestern. Dem Ehemann. Liebhabern. Godfrey markiert die direkte Rede manchmal mit Anführungszeichen, manchmal ohne. Die Dialoge scheinen dann ins Innere zu wandern, fast wie Selbstgespräche, die Guggenheim formen und verwandeln.
Die großzügigsten Sätze schenkt Emma Goldman Peggy Guggenheim. Goldman, die Anarchistin und Revolutionärin, wird 1928 zur lebensverändernden Freundin. Für sie, die sich mit allen Systemen anlegt, organisiert Guggenheim ein Haus namens Bon Esprit in Saint-Tropez. "Es hatte Alpenblick und einen Garten voller Obstbäume", heißt es im Roman. Goldman wird dort ihre Memoiren schreiben, so wie Guggenheim eines Tages selbst.
"Peggy", der Roman, endet 1938, vor dem Einmarsch deutscher Truppen in Frankreich. Vor dem Zweiten Weltkrieg. Vor dem Holocaust und vor Peggy Guggenheims Flucht aus Europa. Sie wird ein Vermögen ausgeben, um andere vor den Nationalsozialisten zu retten und sie ins sichere Amerika zu bringen.
Dieses Noch-nicht, das Offene, entwickelt einen eigenen Sog. In den besten Momenten ist Peggy Guggenheims Leben die phantastische Ansammlung ergriffener Möglichkeiten. Ein leer stehendes Haus in Südfrankreich entdecken und für wenig Geld darin wohnen? Genau. Als erste Frau in London eine Galerie gründen? Hurra. Sich in einen wenig bekannten irischen Schriftsteller namens Samuel Beckett verlieben? Au ja!
Godfreys Roman gibt eine Vorstellung davon, wie es sich angefühlt haben könnte.
Rebecca Godfrey/Leslie Jamison: "Peggy". Roman. Aus dem Englischen von Britt Somann-Jung, Verlag S. Fischer, 400 Seiten
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