Dieser wunderbare französische Klassiker, der 1975 unter dem Pseudonym Émile Ajar erschien und im gleichen Jahr mit dem Prix Goncourt ausgezeichnet wurde, hat eine äußerst interessante Geschichte.
Statutengemäß und traditionell kann ein Schriftsteller nur einmal mit dem Prix Goncourt ausgezeichnet werden. Der 1914 geborene Romain Gary erhielt den Preis jedoch zweimal!
Zuerst 1956 für Die Wurzeln des Himmels und 1975 schließlich noch einmal für Du hast das Leben vor Dir.
Möglich war das nur, weil der zweite Roman unter einem Pseudonym veröffentlicht wurde.
Erst nach Romain Garys Suizid im Jahr 1980 wurde publik, wer sich hinter dem Künstlernamen verbarg.
Aber da war der Preis ja schon längst verliehen.
Aber jetzt erst einmal zum Inhalt:
Der Roman spielt in den 1960-er und 1970-er Jahren in Paris, im Stadtteil Belleville.
Der 14-jährige Ich-Erzähler Momo, der uns seine Geschichte im Rückblick erzählt, wuchs zusammen mit anderen Kindern bei der alternden Madame Rosa im Pariser Stadtviertel Belleville auf.
Sie wohnten im sechsten Stock eines Hauses, dessen Bewohner eine kunterbunte Mischung darstellten: Huren, Transvestiten, Weiße, Schwarze und Araber lebten dort zusammen unter einem Dach.
Auch Madame Rosa war eine ehemalige Prostituierte.
Eine ehemalige Prostituierte, die als Jüdin den Horror von Auschwitz erlebte und überlebte.
Eine ehemalige Prostituierte, die nun ein Etablissement für Hurenkinder (S. 51) betreibt.
Was für ein Schock, als der ca. sechsjährige Araberjunge Momo erfuhr, dass er nicht der leibliche Sohn, sondern nur eines der Ziehkinder seiner geliebten Madame Rosa war, für die sie am Monatsende Geld bekam.
Das musste erst einmal verdaut werden und dabei half Monsieur Hamil, der weit gereiste, lebenskluge und gutmütige Teppichhändler, der Momo alles beibrachte, was er wissen musste und immer einige Weisheiten auf Lager hatte, wie zum Beispiel Angst ist unser engster Verbündeter, ohne sie würde uns Gott weiß was passieren. (S. 85)
Dass es keine familiäre Verbindung zwischen ihm und Madame Rosa gab, war nicht das einzige, das Momo nicht wusste.
Er hatte lange Zeit schlicht keine Ahnung, was seine Herkunft anbelangte und dass die anderen Kinder allesamt andere und lebende Mütter hatten.
Zwar lebende, aber größtenteils abwesende Mütter, die sich prostituierten und immer mal wieder bei ihrem Nachwuchs, der von Madame Rosa aufgezogen wurde, vorbei schauten.
Was die Aufklärung seiner