SF Williamson nimmt uns mit in ein alternatives London der 1920er: Seit Jahrzehnten herrscht ein angespannter Frieden zwischen Menschen und Drachen, der mit einer Trennung der beiden Arten einhergeht. Gleichzeitig sind auch die Menschen selbst in einem gnadenlosen Drei-Klassen-System voneinander getrennt. Vivien, Tochter einer Überlebenden des von Drachen verübten Massakers an der bulgarischen Menschenbevölkerung, ist fest entschlossen eine glorreiche Zukunft an der Akademie für Drachensprache zu erreichen. Dafür hat sie ihr ganzes Leben menschliche und drachische Sprachen gelernt, die ihr von ihren Eltern teils wortwörtlich eingeprügelt wurden. Doch die politische Lage in Britannien ist angespannt und als Viviens Eltern verhaftet werden, trifft die 17jährige eine folgenschwere Entscheidung und findet sich in einem Geheimprojekt der Regierung wieder, wo sie an etwas arbeitet, dass als innen- und außenpolitische Waffe dienen soll
Vorweg: es scheint sich nicht, wie ich beim Lesebeginn dachte, um einen stand-alone Roman zu handeln, sondern eine Duologie. Passend dazu ist das Ende entsprechend offengehalten, was mich persönlich etwas frustrierte, da gerade zum Ende nach einem langsameren Mittelteil, in dem das Gedankenkarussell der Protagonistin ermüdet, viel Action und eine große Überraschung aufkam.
Die Protagonistin ist sehr behütet aufgewachsen und gibt sich oft frustrierend weltfremd und naiv. Passend dazu erfährt auch der Leser relativ wenig über die Welt jenseits von Viviens Heimat und Bulgarien. Über lange Strecken zögert Vivien eine Entscheidung auf, von der sie weiß, dass sie getroffen werden muss. Das fand ich besonders unangenehm, da andere Hauptfiguren rassistischer und klassenbedingter Diskriminierung und Misshandlung ausgesetzt waren und meines Erachtens spannendere Perspektiven und Innenleben gehabt hätten als Vivien, die sich vor allem mit Schuldgefühlen herumschlägt die auf einer Entscheidung basieren, die für mich nicht ausreichend motiviert bzw. ziemlich unentschuldbar ist.
Der Roman spricht neben gesellschaftlichen Themen um systematische Diskriminierung, korrupte Regierung und wie man in einer solchen zu handeln hat auch persönliche Themen um Schuld und Vergebung mit einer starken christlichen Prägung an.
Der männliche Charakter, für den die Protagonistin Gefühle entwickelt, ist gut ausgearbeitet, sympathisch und interessanter als Vivien selbst. Die Beziehung der Beiden hätte man etwas mehr ausarbeiten können, wir als Leser erhalten ab und an Einblick auf eine gegenseitige Annäherung, die sozusagen hinter den Kulissen der Erzählung stattfand.
Mehrere Charaktere waren mir zu sehr als rein gut oder böse definiert, aber andere haben mich durch plötzliche Einblicke auf verborgene Tiefen angenehm überrascht. Generell halte ich es für eine verlorene Gelegenheit, dass während des Projektes keine verborgenen Intrigen und Manipulationsversuche der Teenager untereinander aufgekommen sind, gerade im Mittelteil hätte sowas die Spannung gut erhalten können.
Mein persönliches Highlight waren die Drachensprachen, der Umgang mit ihnen und ja, das Projekt an dem Vivien arbeitete. Das klingt hier reichlich vage, aber ich möchte gerade von dieser spannenden Thematik nicht zu viel vorwegnehmen. Hierbei fand ich es sehr gelungen, wie die Autorin herauskristallisiert hat wieso Vivien, eine Teenagerin mit begrenzten Ressourcen innerhalb geringer Zeit etwas entdecken konnte, was als unentdeckt galt. Dadurch wird sie glaubwürdig als intelligent dargestellt, was ihr Gebiet angeht, ohne alle anderen Wissenschaftler als unglaubwürdig dämlich zu schreiben.
Alles in allem ist das Meiste, was ich kritisierte, Kleinigkeiten. Ich war beim Lesen gut unterhalten und es ist ein außergewöhnlicher Fantasyroman, der einen neuen Blick auf Drachen gewährt und deshalb jedem Drachenfan ans Herz zu legen ist.