Nach der "Zeremonie des Lebens" hat Sayaka Murata wieder eine höchst interessante, dystopische Erzählung vorgelegt.
In der "Schwindenden Welt" gilt Sex unter Eheleuten als primitiv, inzestuös und schmutzig. Deshalb pflanzt man sich durch Insemination fort. Sex ist weitgehend aus dem gesellschaftlichen Leben verbannt. Man verliebt sich eher in Animehelden. Man heiratet zwar noch, doch eher aus der Motivation heraus, sich Miete und Haushaltspflichten zu teilen.
Die Hauptfigur Amane ist durch die Kopulation ihrer Eltern entstanden, was ihr sehr peinlich ist. Sie lässt sich von ihrem ersten Mann scheiden, als der körperliche Nähe sucht und führt mit ihrem zweiten Mann eine eher geschwisterliche Beziehung. Beide ziehen in die Modellstadt Experimenta, in der auch Männer mithilfe einer künstlichen Gebärmutter Kinder gebären können. Die Kinder werden dort nicht mehr in Familien, sondern in Zentren großgezogen. Die Individualität geht verloren.
Das Bild, das Murata von einer zukünftigen japanischen Gesellschaft entwirft, löst beim Leser zunächst Befremden aus. Doch bei längeren Nachdenken fragt man sich, ob diese Zukunftsvisionen wirklich so abwegig und nur auf Japan begrenzt sind. Auch heute kann man in Japan schon Mangafiguren heiraten. Und angesichts der zunehmenden Vereinsamung und des wachsenden Social Media-Konsums ist es nicht unvorstellbar, dass wir bald keine intimen Beziehungen zu Menschen mehr haben werden, Vielleicht sind Familie und enge menschliche Beziehungen wirklich bald eine schwindende Welt. Muratas kafkaseker Roman bringt uns dazu, darüber nachzudenken, ob wir so eine Welt wollen und wenn nein, dem selbst entgegenzusteuern.