Acht Menschen auf einer Insel im Mittelmeer. Ein idyllisches Urlaubsparadies mit traumhaften Buchten, viel Sonne, pittoresker Architektur, Bars und Cafés an jeder Ecke. Konflikte? Einfach vergessen, bitte! Doch etwas stimmt nicht. Die ganze Szenerie wirkt fahl, die Inselbewohner seltsam abwesend. Und wo sind eigentlich die anderen Passagiere, mit denen die acht im Flugzeug gesessen haben?
Claudius hat mal wieder alles bezahlt, für sich und Elisabeth, aber auch für ihre Studienfreunde Annike und Benedikt. Claudius zahlt immer, weil er's kann. Sara und Marc sind mit ihrem Sohn Vincent hier, der schwer krank ist, vielleicht machen sie zum letzten Mal gemeinsam Ferien. Gäbe es Vincent nicht, wären Sara und Marc längst kein Paar mehr. Schließlich ist da noch Heidi, die gerade wieder eines ihrer Start-ups verkauft hat und auf die nächste heiße Idee wartet - das lenkt so schön ab von der Sache, über die sie nicht gern nachdenkt.
Die Wege der acht kreuzen sich immer wieder in der kleinen Stadt am Meer. Sie finden sich, zerstreiten sich, lieben sich oder lieber doch nicht. Ferien eben. Doch aus den zu Beginn kleinen Ungereimtheiten um sie herum werden immer größere Löcher, und ihr Bewegungsradius scheint stetig kleiner zu werden. Nach und nach wird ihnen klar, dass hier und jetzt die letzte Gelegenheit sein könnte, sich noch mal richtig lebendig zu fühlen - bevor alles um sie herum zerbricht.
Besprechung vom 16.01.2025
Abstürzen, und dann?
Simone Buchholz spielt Schicksal
Vier Touristen beziehen ein Apartment auf einer griechischen Insel. Die beiden deutschen Ehepaare kennen einander seit Ewigkeiten, nun machen sie Urlaub miteinander und gehen ihren je eigenen Interessen nach, was ein heimliches Liebesverhältnis zwischen der schönen Elisabeth und dem vor Tatendrang bebenden Benedikt einschließt. Elisabeths Mann, Claudius, ist erfolgreicher Geschäftsmann und besteht auf penetrante Weise darauf, die Gesellschaft freizuhalten - er bezahlt die Ferienwohnung. Und die sanfte Annike, Benedikts Frau und Elisabeths einstige Mitbewohnerin zu Studienzeiten, ist es gewohnt, sich aus allem zurückzuziehen, auch aus der Ehe mit Benedikt.
Das könnte so weitergehen, auch auf der Insel, nur dass sich im Verlauf weniger Tage die irritierenden Zeichen häufen, dass etwas nicht in Ordnung ist. Bei Ausflügen außerhalb der kleinen Stadt und auf dem Meer stellen die Touristen fest, dass sie bestimmte unsichtbare Grenzen nicht überwinden können - sie bleiben stets auf einen bestimmten Raum beschränkt, der zudem immer kleiner wird. Eine Unterkunft im Zentrum der Stadt verschwindet plötzlich, das einst so großzügige Apartment schrumpft. Noch seltsamer ist, dass die Einheimischen am Anfang kaum, schließlich gar nicht mehr auf die Fremden reagieren. Am seltsamsten aber ist, dass ihnen die Erinnerung an das Leben außerhalb der Insel langsam abhandenkommt: Haben wir eigentlich einen Rückflug gebucht, fragt einer und erhält als Antwort die Gegenfrage, was das denn sei, ein Rückflug.
Es wäre gar nicht nötig gewesen, dass Simone Buchholz ihren Roman "Nach uns der Himmel" mit der Szene eines Beinahe-Flugzeugabsturzes beginnen lässt, um die Leser auf die Spur zu bringen, worauf all das zurückzuführen ist. Von "jenem Moment" ist gleich im ersten Satz verheißungsvoll die Rede, und die rätselhafte Gleichgültigkeit der Insulaner gegenüber ihren Gästen zeigt vollends, dass Buchholz ihre Geschichte in jenem ehrwürdigen Untergenre der Phantastik angesiedelt hat, in dem die Protagonisten erst noch begreifen müssen, dass sie gestorben sind, auch wenn sie sich höchst vital fühlen und verhalten. In diesem Roman wird geschwommen, gerannt, gegessen und viel getrunken, geliebt wird noch mehr, und die verblassende Erinnerung aller führt auch dazu, dass sich wie von selbst vier neue Paare finden, wozu auch Marc und Sara, ihr eigentlich sterbenskranker Sohn Vincent und die junge Unternehmerin Heidi beitragen.
Vieles, das ersichtlich im Argen lag, wird dabei korrigiert, die Beteiligten werden milder, Aggressionen verblassen ebenso wie sich alte Wunden schließen. So, meint man, könnte es jetzt weitergehen, während sich der Luxusbalkon in ein winziges Fleckchen verwandelt und die Zimmer auf einmal zu klein für die Betten sind - deutliche Zeichen dafür, dass es so eben nicht weitergehen wird.
Buchholz erzählt all das stilsicher, pointiert, mit Sinn für die Schwächen ihrer Figuren und - von wenigen Stellen abgesehen - ohne diese auszuliefern. Das gilt auch für die zweite Handlungsebene, in der ein Ich-Erzähler in seinem Büro Besuch von einer Controllerin bekommt, die ihn mit einem offenbar ungeheueren Fehler konfrontiert, für den er verantwortlich ist. Die gemeinsame Reise beider führt dann auf die Insel, wo sie darangehen, den aus menschlicher Schwäche begangenen Fehler wiedergutzumachen.
Was sich dabei entwickelt, ist mit antiker Kultur grundiert und wird mit der entstehenden Liebe zwischen einer Amazone und einem Götterboten gekrönt, auch ein moderner Charon stellt sich ein. All das steht im Dienst der Frage, die seit jeher Texten dieses Genres eingeschrieben ist: Was stellt sich auf den letzten Metern eines Lebenslaufs als elementar für die jeweilige Person heraus, was ist ephemer? Was bleibt?
Die Antwort, die Buchholz dafür findet, in Teilen eigentlich nur andeutet, ist so originell wie das gesamte Buch und so überraschend erfreulich, dass man den Protagonisten alles Gute dafür wünscht. Auch wenn man sich über ihre Musikauswahl für eine Ewigkeit sicher noch streiten könnte. TILMAN SPRECKELSEN
Simone Buchholz: "Nach uns der Himmel". Roman.
Suhrkamp Nova, Berlin 2024. 218 S., geb.
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