GELESEN: Sven Hanuschek Keiner blickt dir hinter das Gesicht Das Leben Erich Kästners Erstausgabe 1999
Erweiterte Neuausgabe 2024 erschienen bei Carl Hanser Verlag München
456 Seiten
Mit Anhang Siegeln Nachweisen Bibliographie Filmographie Bildnachweisen und einem Personenregister sowie dem Dank
Insgesamt ist diese Erich-Kästner-Biographie sehr aufschlussreich, und wie ich meine, auch gelungen. Die zeitlichen Abläufe sind ein wenig durcheinandergeraten, was aber der Information über diesen bedeutenden Schriftsteller keinen Abbruch tut
Kästners Werk hat mehrere Facetten.
Da war der Kinderbuchautor, neben dem politischen Schriftsteller, als der er etwas zu kurz kommt, denn seine Unterhaltungsliteratur überbordet wiederum diese, was seinen Bekanntheitsgrad angeht.
Kästner konnte alles, und er konnte nebenher auch noch famos dichten. In seinen unzähligen Versen hat er den Menschen ganz genau und teilweise schonungslos aufs Maul geschaut und sie in ihren Wesenszügen karikiert.
Sven Hanuschek beleuchtet Kästner von allen Seiten. Sein Zwang der Mutter, die wohl zeitlebens die größte Rolle in seinem Leben spielte, es immer recht zu machen, war wohl der größte Seiltanz. Der Vater Emil, den Ida Kästner in Ermangelung anderer Möglichkeiten geheiratet hat, der nach deren Ansicht nicht auf ihrer Augenhöhe lebte, spielte lange bei Ida Kästner keine Rolle; bei Erich erst in seinen späteren Lebensjahren. Es ging das Gerücht, dass Erich vom Hausarzt Dr. Emil Zimmermann gezeugt wurde, was man nicht belegen kann. Kleine Hinweise könnten in unzähligen Briefen darauf hindeuten, sind aber eben nicht nachweisbar. Das Kapitel endet mit einem toskanischen Kinderreim, der da lautet: Ein bißchen Hund, ein bißchen Kater, kein weiß, wer ist der Vater.
Kästner wurde noch recht jung, kurz nach seiner Promotion im Jahr 1925, zu dem, der er war und den wir kennen. Hier nahm seine ganz besondere Ausdrucksweise Gestalt an, wurde signifikant. Dr. phil. Erich Kästner arbeitete fortan für die Neue Leipziger Zeitung, bei der er als Journalist und Theaterkritiker für das Feuilleton unter anderem bereits sein Studium finanzierte. Kästner war fleißig, aber auch kantig, er legte sich mit dem Chef und auch mit Kollegen an, die ihm querkamen. Darauf war er stolz und teilte dies in seinen unzähligen Briefen der Mutter mit. Er wollte seinen Stil durchsetzen, und er wollte viel Geld verdienen, um seinen schon in jungen Jahren großen Lebensstil zu finanzieren und vielleicht auch um der
Damenwelt etwas bieten zu können. Auch wenn Kästner nie geheiratet hat, so war er ein stets begehrter Junggeselle, der auch zeitweise mehrere Beziehungen nebeneinander hatte.
Der im Jahr 1957 geborene Kästner-Sohn Thomas findet ebenso Erwähnungen wie eben die zahlreichen Frauen, die dem Schriftsteller meist nach kurzer Zeit schon überdrüssig wurden, kamen sie ihm zu nahe. Elegant versuchte er diese, bekundeten sie Heiratsabsichten, aus seinem Leben wieder zu streichen, was ihm nicht schwer viel, denn die nächste Dame stand ja schon vor der Türe. Er hatte auch Beziehungen, die viele Jahre andauernden, was nicht heißt, dass er diesen Damen auch die Treue hielt.
Worauf nach dem Krieg viele Leute gewartet haben, hat Kästner nie geschrieben. Er bleibt in Deutschland, um Zeitzeuge zu sein, hat aber in einer oftmals angekündigten Gesamtausgabe niemals Zeugnis abgegeben. Man muss ihm wohl zugutehalten, dass es andere Schriftsteller auch nicht taten, was wohl daran lag, dass ihnen die Worte fehlten. Es vergingen Jahre, bis man über diese verheerende Zeit überhaupt etwas zu lesen bekam. Grund für Kästner es nicht zu tun, war sicher auch ein Gespräch mit dem Juden Männe Kratz, der unter anderem Auschwitz überlebte und später auch über die Zeit im KZ seine Aussage machte, die noch heute im Netz zu hören ist. Sicher wusste Kästner, was im
Dritten Reich geschah, aber vermutlich nicht solche Einzelheiten. Als er davon erfuhr, versiegten ihm vielleicht die Worte.
Auch wenn er diese Zeit nicht niederschrieb, so entwickelte er nach dem Krieg noch einmal eine direkte Arbeitswut. Er wurde Feuilleton-Chef der Neuen Zeitung, Herausgeber der Jugendzeitschrift Pinguin, schrieb Rezensionen, Reportagen, Feuilletons, Kabarett-Chansons und Kinderbücher. Beiträge wurden gedruckt von Schriftstellern mit Rang und Namen. Kästner selbst meldete sich natürlich auch zu Wort.
Was man vielleicht noch hätte erfahren wollen, bleibt im Verborgenen. Sven Hanuschek war zehn Jahre alt, als Erich Kästner starb, und wie schon der Titel lautet Keiner blickt dir hinter das Gesicht kann auch er nur schreiben, was er mühevoll zusammengetragen hat. Diese Biographie ist eine Fleißarbeit par excellence und für jeden, der sich für diesen Autor begeistert, direkt eine Pflichtlektüre.