Als ich gelesen habe, dass es bei "Blaue Tage" eine queere Storyline gibt, war ich sehr vorfreudig auf den Roman. Und er hat mich mit seiner stillen Beobachtungsgabe auch überzeugt, obwohl vielleicht besser vor der Lektüre klar sein sollte, dass es sich hier nicht um ein dramagetriebenes Werk handelt.
In diesem Kammerspiel befinden sich die beiden Schwestern Leo und Emma zusammen mit ihren Partnern und ihrem Vater 10 Tage lang auf einem Katamaran (ja, ich musste googeln, wie so etwas aussieht). Während der Vater in den vergangenen zwei Jahren eher mit Abwesenheit glänzte und die Beziehung zu seinen Töchtern entsprechend auf wackeligen Beinen steht, haben Leo und Emma ganz andere private Hürden, die sich zudem gegenseitig verstärken. Emma möchte nämlich unbedingt ein Kind mit Onur, doch scheint es nicht zu klappen. Karl wiederum möchte ein Kind mit Leo, deren innere Entwicklung wir als Lesende direkt miterleben dürfen.
Es kracht nicht in diesem Roman, die Konflikte sind unterschwellig, werden jedoch zeitnah adressiert. Gerade auch das Innenleben des Vaters hat mich überzeugt. Wer großes Familiendrama sucht, wird hier nicht fündig. Stattdessen beobachtet der Roman sehr fein die Dynamiken innerhalb von Familien und Beziehungen. Das macht ihn eher leise und das Lesen vielleicht etwas langsamer, doch eben auch sehr lebensnah.
Leo empfand ich als eine so unglaublich authentische Figur in ihren Reflexionen zur Kinderfrage und der eigenen Sexualität. Dank so mancher popkulturellen Referenz könnten wir nämlich denken, dass ein inneres Coming-Out mit einem großen Knall passiert, dabei ist es oft so viel subtiler und auch durchaus von ambivalenten Gefühlen begleitet. Auch die eigene Entscheidung zu Kindern, insbesondere eine gegen sie, wird wohl in den seltensten Fällen leichtfertig gefällt. Ich habe Leos Emotionen regelrecht greifen können und denke, dass der Roman gerade auch für Late Bloomers richtig heilsam sein kann.
Was mich beim Lesen etwas angestrengt hat, waren die Fachbegriffe zu Booten und zum Segeln. Ein kleines Glossar am Ende hätte mir hier gut gefallen, da es schon recht viel Raum einnimmt. Außerdem lebt die Geschichte durchaus relevant von ihren Leerstellen, die wir entweder selbst füllen oder akzeptieren müssen. Und nicht zuletzt hätte ich die Skipperin Alex gern noch etwas vielschichtiger kennengelernt - aber sie gehört natürlich auch nicht zur zentralen Familie, wenngleich sie auch eine enorm wichtige Rolle spielt.
Abgesehen davon ist "Blaue Tage" ein sensibler, kurzer Roman über das Finden des eigenen Weges fern von gesellschaftlichen Normen und Erwartungen.