spannendes Experimen
Der Klappentext klang witzig, mir war nach Satire, und ich war gespannt. Der Autor sagte mir nichts, egal, nach diesem Werk werd ich mir den Namen aber merken :-)Also, der Inhalt ist mit dem Klappentext tatsächlich gut zusammengefasst: wir sind im Jahr 2016, das Dortmunder Ehepaar Beate und Peter Sendler verschlägt es ins fiktive sächsische Dorf Maulberg, und nach einem Ostalgie-getränktem Dorffest schlägt Peter der jungen Bürgermeisterin Michaela Hund ein interessantes Experiment vor. Da anscheinend alle Maulberger der guten alten DDR nachtrauern, könne man doch mal einen ganzen Monat diese Zeiten nachspielen. 4 Wochen DDR - komplett mit allem Drum und Dran. Ohne die Errungenschaften des 21. Jahrhunderts wie Internet, Handies; Social Media & Co - dafür mit Pioniertagen, der alten Kaufhalle mit reduziertem Warenangebot, und altem Ost-TV-Programm aus der Konserve. Telefonanschlüsse werden ausgelost, Autos darf für den einen Monat auch nur ein Bruchteil der Maulberger fahren (wem das Losglück in dem Falle hold ist). Und Peter, von Beruf Dokumentarfilmer, sieht hier den Film, respektive das Projekt seines Lebens direkt vor der Haustür.....Ich persönlich fand das diesbezüglich spannend, weil ich tatsächlich auch mal so einen Monat ohne WLAN u.ä. gar nicht so verkehrt finde. Wenn ein ganzes Dorf so was macht, könnte das ganz cool sein. Daher war ich wie gesagt gespannt, was die Maulberger draus machen würden :-)Hm, wie beschreibe ich jetzt die Geschichte, ohne viel zu spoilern. Hier ging es ja nicht vorrangig um das "digital detoxing", das war jetzt nur ein Nebeneffekt, den vor allem die jüngeren Maulberger ätzend fanden. Teenager aus dem Jahre 2016 kennen die alten "Ossi"-Zeiten ja eh nur noch vom Hörensagen, für die war erst mal ein Monat ohne Smartphone die Katastrophe mit Voransage.Die Maulberger haben sich zum größten Teil voller Euphorie auf das Experiment eingelassen, denn man erinnert sich ja immer gern nur an die guten Dinge der "guten alten Zeiten" - den sozialen Zusammenhang zum Beispiel. Aber die DDR war ja viel mehr, und es dauert nicht lange, da kommen die alten Strukturen wieder zum Vorschein - die alten Funktionäre, die mit den gleichen Visionen wie ehedem die alte Sozialismus-Propaganda wieder auferstehen lassen, und die alten neuen Volkspolizisten, die für Ruhe und Ordnung sorgen wollen....und wenn der örtliche Gendarm im Jahr 2016 schon nicht der Hellste war, dann wird es spannend, wenn man ihm für das Experiment ein paar ähnliche Cleverlies in alten VoPo-Uniformen zur Seite stellt.....und als der neue sozialistische Gemeinderat den neuen Zaun um Maulberg herum unter Strom stellt, ja dann wird es einigen Maulbergern plötzlich doch ganz anders.....Also ja, der Autor beleuchtet dieses Experiment aus allen Ecken heraus. Und ja, es ist Satire, es ist oftmals schreiend komisch. Aber oftmals auch beängstigend. Interessantes psychologisches Experiment. Viele dieser ich sag psychologisches Mechanismen / Gruppendynamiken etc. sieht man ja durchaus auch im eigenem Alltag, aber in Romanform ist sowas immer deutlicher.Ich hab das Hörbuch gehört, und das besticht auch durch das "Sächseln" - ein Sprecher, viele unterschiedliche Charaktere, viel wörtliche Rede, viel Dialekt. War aber sehr charmant umgesetzt, ich fand es extrem unterhaltsam, wenn beispielsweise der hochdeutsch redende Peter seine liebe Not hatte, die "Eingeborenen" zu verstehen.Der Autor liest hier ja selbst, und Kompliment, das war großartig!Ich höre Hörbücher immer im Auto, und ich hab mich hier zeitweise vor Lachen weggeschmissen, aber andererseits saß ich auch mal längere Zeit gebannt auf dem Parkplatz, weil ich unbedingt wissen musste, wie es jetzt weitergeht. Da waren teils echt sehr spannende Szenen dabei (okay, ich spoilere jetzt doch kurz: Linus' Entführung und seine Befreiungsaktion haben Qualität für einen Kinofilm!) Wer mehr wissen will: lest das Buch. Oder nein, hört das Hörbuch!.Zusammengefasst: das war echt gut. Spannende Handlung, food for thought, und mit einem Epilog, der mich befriedigt hat. Da weiß man, was das Experiment mit den Leuten gemacht hat.Ich bedanke mich bei der Agentur Buchcontact für das Rezensionsexemplar!