Besprechung vom 09.01.2025
Ohren auf für Klassenkonkurrenten
Poetische Wege aus dem sozialistischen Grau: Tomasz Rózyckis Roman "Die Glühbirnendiebe"
"Radio und Fernsehen - das Fenster zur Welt". Dieser Schriftzug prangt in großen Metalllettern auf dem Dach eines Plattenbaus im oberschlesischen Opole (Oppeln). Eigentlich soll die Propagandabotschaft auch nachts über den Köpfen der Bewohner leuchten, doch die Neonröhren wurden von Unbekannten stibitzt - wie auch die Glühbirnen in den Aufzügen, in den Treppenhäusern und im Gang unter dem Dach, der die einzelnen Gebäudeblocks miteinander verbindet. Angeblich senden die hier installierten Vorrichtungen Fernseh- und Radiosignale in die Umgebung aus, doch sind vielleicht auch Abhöranlagen der Staatssicherheit darunter?
Diese Vermutung hat jedenfalls Tadeusz, der Ende der Siebziger- und Anfang der Achtzigerjahre im zehnten Stock dieses Betonbaus lebt. In Tomasz Rózyckis nun in deutscher Übersetzung erschienenem Roman "Die Glühbirnendiebe" schildert der kindliche autofiktionale Erzähler in beeindruckender Weise einen Alltag im "volksdemokratischen" Polen, der voller Schein und Entbehrungen steckt. Rózycki, 1970 ebenfalls in Opole geboren, zählt zu den namhaftesten zeitgenössischen polnischen Schriftstellern.
Für seinen Protagonisten Tadeusz ist das Radio tatsächlich das Fenster zur Welt. Allerdings nicht so, wie es sich die politische Führung vorstellt: Mit einem sowjetischen Radioapparat empfängt der Junge statt polnischer Programme lieber das amerikanische "Radio Free Europe" und eine in polnischer Sprache produzierte agitatorische Sendung aus dem kommunistischen Albanien.
Im Laden gibt es nach langer Zeit endlich wieder echten Kaffee. Doch die Bohnen, die Tadeusz nach stundenlangem Anstehen ergattert, müssen erst einmal gemahlen werden. So schickt ihn der Vater los, um über den Dachgeschossgang einen Arbeitskollegen, den Handwerker Stefan, zu besuchen, der eine Kaffeemühle besitzt. Dieser Ausflug des Jungen zum Nachbarn bildet die Rahmenhandlung des Romans. Darin verwoben sind in der Art eines mitreißenden Bewusstseins- und Erinnerungsstroms verschiedene Episoden aus Tadeusz' Kindheit und früher Jugend im Block sowie Porträts der verschiedenen Bewohner. Es sind Geschichten, die zwischen grauer Monotonie und verspielter Imagination oszillieren.
Stefans vulgäre Hasstiraden, die vornehmlich den polnischen Ingenieuren gewidmet sind, mit denen er in der Fabrik zusammenarbeiten muss, bringen bei der Lektüre unweigerlich zum Lachen: "Ins All fliegen sie, aber ich wette, auf ihrer Raumstation ist das Klo kaputt, in der Rakete stinkt's, der Kosmonaut muss nach draußen zum Pinkeln, von größeren Geschäften gar nicht zu reden. Und immer ist's zu kalt oder zu warm, wie bei uns im Block." Tadeusz vermutet, inspiriert von seiner Lieblingsradiosendung aus Tirana, Stefan könnte ein Kryptoalbaner sein, denn seine "kompromisslosen moralischen Wertungen und Abrechnungen" entsprächen weitgehend dem, was der Moderator in gebrochenem Polnisch im Radio verkündet.
Der Plattenbau ist gleichsam Abbild der polnischen Gesellschaft: mit Menschen aus verschiedenen Klassen, Staatstreuen und Oppositionellen, die auf engstem Raum zusammenleben müssen. Da aber alle Bewohner gleichermaßen von den Widrigkeiten des staatlichen Missmanagements heimgesucht werden - ständig verstopfen und platzen die Rohre, wegen der Sprengungen in den nahe gelegenen Steinbrüchen ziehen sich immer tiefere Risse durch die Betonwände -, sind sie auf gegenseitige Unterstützung angewiesen.
Tadeusz vermag es, dieser Tristesse poetische Bilder einzuhauchen. Inspiriert von Heraklits Philosophie und antiken Mythen, sieht er überall Götter ihr Unwesen treiben. Sie ergreifen Besitz von den Bewohnern und verleiten sie zu destruktiven Taten - etwa in der Manier des Prometheus zum Feuer zu greifen und Knöpfe im Fahrstuhl anzukokeln. Der Protagonist ist selbst von dieser Pyromanie befallen, baut zusammen mit den anderen Jungen kleine Bomben oder entzündet Flammen auf dem Balkon. Von dort aus glaubt er, wenn die Luft nur klar genug ist, "in der Ferne das von attraktiven Taxifahrern bevölkerte Jugoslawien, das von den Tänzen des Thunfischs aufgeschäumte smaragdgrüne Meer" zu sehen und in großer Entfernung sogar den "Sandkasten der Sahara".
Tomasz Rózyckis lyrische Prosa, seine eleganten Verkettungen von Alltagsbeobachtungen, die der kindliche Erzähler mit überraschenden Deutungen auflädt, hat Bernhard Hartmann meisterhaft ins Deutsche übertragen. "Die Glühbirnendiebe", 2023 im Original erschienen, wurde damals mit dem in 3466 Metern Höhe auf dem Montblanc verliehenen "Grand Continental Preis" ausgezeichnet, der dann 2024 an Martina Hefter ging. Mit dem Preisgeld von 100.000 Euro sollen Übersetzungen von "bedeutenden europäischen Texten" finanziert werden, im Fall der "Glühbirnendiebe" bisher ins Französische, Italienische, Spanische und Deutsche.
Der Roman hat nicht nur das Leben in der Volksrepublik Polen, sondern im gesamten ehemaligen Ostblock zum Thema. Auf Mittel- und Osteuropäer dürfte die Lektüre kathartisch wirken, ihren westlichen Nachbarn die Geschichte näherbringen. Dieses Buch hat das Potential, zum europäischen Klassiker zu werden. YELIZAVETA LANDENBERGER
Tomasz Rózycki: "Die Glühbirnendiebe". Roman.
Aus dem Polnischen von Bernhard Hartmann. Edition.fotoTAPETA, Berlin 2024. 224 S., geb.
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