Der Roman "Gym" von Verena Keßler erscheint mir mehr als Gesellschaftskritik, denn als witzig unterhaltsamer Roman. An die Gepflogenheit eines sportlichen Trainings angelehnt, ist dieser Roman in eine Aufwärmphase und 3 Sätze aufgeteilt. Die namenlos bleibende Ich-Erzählerin erhält, mittels einer spontanen Lüge, einen Job. Sie erfindet einen Säugling und sich als alleinerziehende Mutter, welche von ihrer Mutter unterstützte würde, um berufstätig sein zu können. Im ersten Teil der Handlung stellte ich mir die Frage, spielt die Autorin mit Klischees oder geben diese nur eine Bühne für eine andere Geschichte. Mir gefiel die Szenerie mit ihren Überzeichnungen sehr und ich war gespannt, wie die Angelogenen der Hauptfigur auf die Schliche kommen werden. Diesen satirischen Part empfand ich als geistreich und witzig. Über ihn ich habe viel geschmunzelt, denn das Flair des MegaGyms beschreibt so herrlich die Fitnessstudio Landschaft mit ihren diversen Mitgliedercharakteren. Der Schreibstil ist durchgängig top und verleitet dazu das Buch nicht aus der Hand legen zu wollen. Wäre da nicht die bizarr verlaufende Story. Wir erfahren ein wenig über die Vergangenheit und die skrupellosen Gedanken der Ich-Erzählerin. Ein Wechsel aus Rückblick und Zuspitzung beginnt. Eine tragische Story über Leistungsanspruch, soziale und extreme psychische Probleme, Übergriffe, Gewalt, Kränkungen, Selbstwert, Abhängigkeit, Kriminalität und Obsession. Gut gefallen hat mir, dass Frau Keßler ihren tragischen Roman so kurz und knapp verfasst hat.
Die Lektüre des Romans war durch die wenige Stunden zuvor gelesene Nachricht aus Nordrhein-Westfalen überschattet: 13-Jährige sticht in Psychiatrie zu (19.08.2025). So dass bei mir ein fader Beigeschmack entstand.
Wer einen seichten Roman lesen möchte, sollte nicht zu diesem greifen. Wer hingegen Gesellschaftskritik, in Romanform, schätzt wird hier fündig werden.