
Besprechung vom 05.11.2025
Aller Anfang ist Q
Heute erscheint der neue Roman von Walter Moers: "Qwert" erzählt, was vor zwei Jahrzehnten schon beendet schien.
Gesetzt den Fall, wir wären gezwungen gewesen, den Titel des heute erscheinenden neuen Romans von Walter Moers in der dieser Literaturbesprechung beigegebenen Bibliographie zur Gänze zu zitieren, dann hätte er den dafür vorgesehenen Platz gesprengt. Deshalb führen wir ihn nicht dort auf, sondern hier, denn eine Rezension kann auch einmal einen halben Absatz der Akkuratesse opfern. Zumal uns die Angabe des gesamten Buchtitels der Verpflichtung, die Handlung umständlich zusammenzufassen, entheben und etwaiger Leser-Kritik am Spoilern des Geschehens den Wind aus den Segeln nehmen wird. Denn als der größte Spoiler erweist sich Moers selbst: Sein Buch heißt "Qwert - Ein Prinz-Kaltbluth-Roman in 43 Aventiuren. Enthaltend die wundersamen Abenteuer des Gallertprinzen Qwert Zuiopü in einer fremden Dimension unter Beteiligung seines treuen Knappen Oyo Pagenherz und des tapferen Reitwürmchens Schneesturm. Ferner der Janusmeduse Jadusa, der Riesengletscherzwerge Fünf, Sieben, Drei, Vier, Zwei, Sechs und Eins, der Rostigen Gnome und des Eisernen Ritters, des Gläsernen Ritters und seiner Kristallskorpione, des Hölzernen Ritters und eines Janusmännleins, einer Ruinenraupe und des Dornigen Tentakels, zahlreicher Kamelianer und Flederfrösche sowie des Diamantenen Ritters und des Einsamen Denkers." Noch Fragen?
Naturgemäß einige. Selbstverständlich aber nicht die, was denn ein Gallertprinz sei und dann noch dieser spezielle namens Qwert Zuiopü, dessen aussprechlicher Name sich einem linearen Fingertanz über die oberste Reihe einer deutschsprachigen Schreibmaschinentastatur verdankt. Man kennt ihn ja längst: aus "Die 13 œ Leben des Käpt'n Blaubär", erschienen vor sechsundzwanzig Jahren, und weil dieser Roman seit damals zum Klassiker der phantastischen Literatur weit über den deutschen Sprachraum hinaus geworden ist, werden selbst junge Leser informiert sein über Qwert, der darin einen markanten Kurzauftritt als Klassenkamerad des Titelhelden Blaubär in Professor Abdul Nachtigallers Nachtschule hat. Dann fiel der Gallertprinz in ein Dimensionsloch und verschwand. Aus einem solchen taucht er jetzt wieder auf und wird selbst Titelheld.
Was man dagegen womöglich wissen will: wie Qwert Zuiopü in der englischen Übersetzung "The 13 œ Lives of Captain Bluebear" hieß, für die ja eine andere Tastaturbelegung gilt. Qwerty Uiop natürlich, weil englischsprachige Schreiber eher Y statt Z brauchen und Umlaute ja gar nicht. Aber das ist überflüssiges Wissen für deutsche Leser, was den neuen Roman betrifft. Wobei Gespräche mit Moers-Lesern immer wieder zeigen, dass für sie jedes Detail interessant ist. Sie werden sich deshalb auch ihren Reim darauf machen, dass Schauplatz von "Qwert" ein Reich namens Orméa ist.
Interessieren könnte sie auch, dass der Roman "Qwert" nicht nur die Lebensbeschreibung seiner Titelfigur mehr als ein Vierteljahrhundert nach deren erstem Auftritt forterzählt, sondern selbst auch auf eine fast ebenso lange Entstehungszeit zurückblicken kann. Nach dem Riesenerfolg des "Blaubär"-Romans nahm Moers nämlich schon bald die Arbeit an "Qwert" auf und schickte mehr als hundert Probeseiten an seinen damaligen Verlag, der jedoch keinerlei Gefallen am Stoff fand und das Manuskript retournierte. Dass Moers heute bei einem anderen Verlag publiziert, hat mit dieser Ablehnung indes nichts zu tun - ganz im Gegenteil ist er über all die Jahre hinweg von Haus zu Haus immer seinem engsten Verlagsvertrauten und Lektor Wolfgang Ferchl gefolgt, der damals "Qwert" verschmähte, jedoch kürzlich ein Fünfhundert-Seiten-Manuskript gleichen Titels auf den Tisch bekam, das ihn nunmehr begeisterte. Und so erscheint nur ein Jahr nach Moers' letzter Publikation, der schmalen, aber wunderbar abstrusen Geschichtensammlung "Das Einhörnchen, das rückwärts leben wollte", und auch nur zwei Jahre nach seinem bislang literarisch versiertesten Roman, der mehr als sechshundertseitigen "Insel der Tausend Leuchttürme", eben "Qwert", auch fast sechshundert Seiten stark, literarisch ausgefuchst und wunderbar abstrus.
Vorbild dafür war im Allgemeinen - der Titel von barocker Umständlichkeit verrät es - die in früheren Jahrhunderten blühende Gattung der Ritterromane, in denen sich eine abenteuerliche Begebenheit an die nächste reihte. Und im Speziellen die berühmteste Parodie auf dieses Genre, Cervantes' "Don Quijote" - leicht zu identifizieren an der markanten Dreierkonstellation der im Untertitel erstgenannten Personen: Qwert füllt in der unfreiwillig eingenommenen Rolle von Prinz Kaltbluth die von Alonso Quijano alias Don Quijote aus, Oyo Pagenherz als dessen Knappe gibt das Äquivalent (auch charakterlich) zu Sancho Pansa ab, und das Reitwürmchen namens Schneesturm vertritt den Klepper Rosinante. Mehr aber noch als dieses Abenteurertrio ist es der Tonfall von "Qwert", der dem Cervantes-Roman entspricht: ironisch durch und durch. Und dem spanischen Muster in seiner verschachtelten Erzählstruktur keinesfalls nachrangig.
Denn die letzte Figur des Untertitels, der Einsame Denker, bezeichnet eine Instanz, die man göttergleich nennen kann: "Der Einsame Denker denkt uns, und deswegen existieren wir!", dekretiert der Chef der im Untertitel erwähnten Kamelianer, den wir Arif nennen dürfen (sein vollständiger Name würde nun wirklich auch diese Rezension sprengen) und dem Qwert die Erkenntnis verdankt, dass jene Stimme in seinem Kopf, die in entscheidenden Momenten die Handlung vorantreibt, eben die des Einsamen Denkers ist. Weshalb die Vermutung naheläge, dass der Einsame Denker der Autor dessen ist, was wir lesen, also Walter Moers. Aber so einfach macht es uns das Buch nicht. Es würde ja auch voraussetzen, dass Walter Moers, der als real existierender Autor seit drei Jahrzehnten im Verborgenen lebt, plötzlich zumindest in den Scheinwerferkegel der eigenen literarischen Inszenierung träte.
Als der wahre Einsame Denker nach 450 Seiten seinen ersten physischen Auftritt hat, erfolgt der zwar noch hinter einem Paravent, aber noch dieselbe Seite stellt ihn uns vollständig vor: mit Aussehen und Name. Damit genug, denn wir sind nun doch schon einiges über den Romantitel hinausgegangen. Aber dass hier ein hochvirtuoses metafiktionales Spiel getrieben wird, musste einfach gesagt sein. Und kann auch gleich wieder vergessen werden von denen, die einfach ihren Spaß haben wollen an den 43 irrwitzigen Kapiteln, von denen nicht wenige einer Liebe zwischen Mann (na ja, Gallertprinz in Männergestalt) und Frau gelten, wie sie zuvor so intensiv bei Moers nur in "Rumo & Die Wunder im Dunkeln" erzählt wurde - was nicht umsonst der Roman war, der erschien, nachdem zuvor die Urfassung von "Qwert" abgelehnt worden war.
Wir haben übrigens eingangs den Untertitel gar nicht vollständig zitiert. Es fehlte noch der Zusatz: "Unter Benutzung des Handbuchs des Edelmännischen Ritterstandes" (dessen Zitate im Buch stets in Fraktur gedruckt erscheinen, so altehrwürdig ist es) "erzählt und mit zahlreichen Illustrationen versehen von Walter Moers". Letztere Hinzufügungen sind ein Spezifikum der Fantasy-Werke dieses Autors, das ihn gegenüber den meisten seiner Kollegen auszeichnet und erst jüngst viel besuchte Ausstellungen in Oberhausen und Frankfurt am Main ermöglicht hat. Der immer feinliniger strichelnde Moers spart sich diesmal Porträts seiner Hauptfiguren: Qwert gibt es ein einziges Mal auf dem Frontispiz zu sehen, dann nie mehr, und die Janusmeduse - huch, jetzt haben wir uns doch verplappert - wird nur durch ihre Flügelspitzen sichtbar gemacht. Aber die Beschreibungskunst dieses Autors stellt sie uns geistig vor Augen, und wenn er sich Illustrationsraum für so phantasievolle Gestalten wie die Rostigen Gnome oder die Riesengletscherzwerge nimmt und das Panorama der Orméa-Metropole Creatopolis in gleich sechs Seiten umspannender Panoramaansicht bietet, dann ist das originell genug - Qwert-Qualität könnte man kalauern. ANDREAS PLATTHAUS
Walter Moers:
"Qwert". Roman.
Penguin Verlag,
München 2025.
582 S., Abb., geb.
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