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Besprechung vom 14.10.2023
Jäger und Sammler sind immer noch die besten Vorbilder
Im Sauseschritt durch die Entwicklung unserer Zivilisation: Werner Bätzing fremdelt mit der Moderne und sucht nach Wegen aus der ökologischen Krise.
Von Petra Ahne
Von Petra Ahne
Die Vogelperspektive ist en vogue: Mit einer Problemstellung der Jetztzeit im Gepäck abzuheben und ihre Entwicklung durch die Zivilisationsgeschichte zu verfolgen ist in den vergangenen Jahren zu einer erfolgreichen Sachbuch-Erzählstrategie geworden. Im besten Fall trägt man den so geweiteten Blick auf unsere Spezies dann mit hinein in die Gegenwart, fühlt sich den Maya oder den Wikingern aus Jared Diamonds "Kollaps" nähergerückt, die ebenfalls in ökologische Katastrophen geschlittert sind, oder dem sesshaft gewordenen Menschen aus Yuval Noah Hararis "Eine kurze Geschichte der Menschheit", der merkt, dass der Drang nach mehr auch eine Falle sein kann.
Der Kulturgeograph Werner Bätzing hat nun auch die Menschheitsentwicklung überflogen, seine Fragestellung ist die nach dem Verhältnis von Mensch und Umwelt. Er will wissen, ob der Mensch zwangsläufig der die Natur zerstörende "Homo destructor" seines Buchtitels ist oder dies nur unter bestimmten Rahmenbedingungen wird und welche Lehren Gesellschaften, in denen er dies möglicherweise nicht war, bereithalten könnten.
Anders als etwa Hararis fröhlich-unbekümmerte, kühne Analogien ziehende Geschichtsschreibung geht Bätzing vor allem gründlich und akademisch redlich vor. Seine Darstellung ist aus Vorlesungsreihen an den Universitäten Bern und Erlangen-Nürnberg entstanden - an Letzterer war Bätzing bis zu seiner Emeritierung 2014 Professor -, was man dem Buch auch anmerkt. Struktur geht vor Erzählfreude, einem kurzen folgt ein zehnseitiges Inhaltsverzeichnis, dem wiederum eine dreißigseitige Erklärung der interdisziplinär angelegten Methodik. Als es endlich losgeht, hält sich der Autor lange und spürbar wohlwollend bei der Entstehung von Homo sapiens, bei Jägern und Sammlern sowie insbesondere bäuerlichen Lebensformen auf. Je weiter er sich in die Neuzeit vorarbeitet, desto kursorischer und auch eingefärbter von negativen Bewertungen werden die Texte.
Am Ende des Buches wird klar warum: In der Gedankenwelt der Jäger-und-Sammler- sowie der Bauerngesellschaften liegt für Bätzing die Lösung. Hier findet sich die nicht zerstörerische Umweltbeziehung, die er als Rettung aus der heutigen Misere identifiziert hat. Beide Gesellschaften praktizieren für ihn die Selbstbegrenzung, die die Evolution dem Menschen genommen hat. Es gibt kein Ökosystem, an das er optimal angepasst wäre, er muss sich seinen Lebensraum über kulturelles Lernen erst aneignen, er hat keine, siehe Helmuth Plessner, "feste Mitte". Diese Grenzenlosigkeit ermöglicht ihm, so Bätzing, seine Lebensgrundlagen zu zerstören. Jäger und Sammler tun dies aber nicht, sie empfänden sich als Teil einer natürlichen Ordnung. In die Natur greifen sie nicht ein, sondern entnehmen ihr, was sie hervorbringt.
Alles ändert sich mit der Entstehung der Landwirtschaft. Für die sich zwischen 9500 und 3000 vor Christus überall entwickelnden Bauerngesellschaften ist nicht mehr die vorgefundene, sondern die veränderte Natur Lebensgrundlage, Nutzpflanzen und -tiere, Ackerbauflächen. Es entstehen kleinräumige, mosaikartige Kulturlandschaften, die zu erhalten ständiger Anstrengung bedarf. Diese Stabilisierung der instabilen Landschaft nennt Bätzing "ökologische Reproduktion". Das bäuerliche Leben, wie er es zeichnet, ist bestimmt von dem geteilten und weitergegebenen Wissen um diese zweite Natur, die es ohne den Menschen nicht gäbe, die aber zugleich nicht gänzlich von ihm kontrolliert werden kann.
Die Entstehung von Stadtstaaten und Großreichen, von Handwerk, Handel und Kriegen, von Schrift, Geldwirtschaft und Wissenschaft, von Industrie- und Dienstleistungsgesellschaft - Bätzing saust in pointierten, eher lexikalischen Abhandlungen durch die Zivilisationsentwicklung. Spätestens wenn er von "sterilen Lebenswelten" spricht, in die Familien in der Vorstadt gezwungen würden, von "instabilen Lebensstilgruppen", in die die Gesellschaft zerfalle, wird klar: Hier schreibt ein Kritiker der Moderne an sich. Für den Heidegger-Leser Bätzing ist die ökologische Krise mit dem Gedankengerüst der Aufklärung nicht zu lösen, das das heutige Wirtschafts- und Gesellschaftssystem hervorgebracht hat. Eine Ratio, die Gesetzmäßigkeiten absolut setzt und etwa wirtschaftliches Handeln so abstrahiert, dass Geldvermehrung zum Selbstzweck wird, ist für ihn an ihr Ende gekommen.
Impulse für eine neue Aufklärung der heutigen Welt gibt es, Ernst Ulrich von Weizsäcker etwa plädiert für eine solche: Die Tugenden der alten Aufklärung - Empirie, Transparenz, Kausalitätsdenken - sollen beibehalten, Umweltzerstörung aber unrentabel gemacht werden. Für Werner Bätzing keine Option, er will zurück zum vormodernen bäuerlichen Denken. Doch eine Landwirtschaft, die die Bodenqualität sichert, bei der das Vieh den Boden düngt, bei der die Wahl der Fruchtfolgen eine Regeneration der Flächen erlaubt, die zugleich Nutzfläche und Ökosystem ist - das ist zwar bäuerliches Erfahrungswissen, doch auch common sense, wenn es darum geht, wie das Ernährungssystem zukunftstauglich gemacht wird.
Degrowth, Werte und Regeln, die die Steigerungsdynamik unterbinden, von Zusammenhalt und gemeinsamen Traditionen geprägte Strukturen sind Bätzings Leitideen. Vorschläge zu ihrer Umsetzung bleibt er schuldig. So wird man den Verdacht nicht los, dass hinter der Ablehnung der Moderne auch das persönliche Unbehagen eines Mannes, Jahrgang 1949, an einer Zeit steckt, die so gewöhnungsbedürftige Dinge wie die Digitalisierung hervorbringt - das Buch wird als Gegenprojekt zu "kurzen, Internet-geeigneten Texten" angelegt - oder auch vermehrt junge Menschen, die glauben, selbst entscheiden zu können, welchem Geschlecht sie sich zugehörig fühlen. Dies ist für Werner Bätzing, ebenso wie die Verneinung von Unterschieden zwischen Frau und Mann, ein weiterer von der Aufklärung eingeleiteter Irrweg.
Werner Bätzing: "Homo destructor". Eine Mensch-Umwelt-Geschichte. Von der Entstehung des Menschen zur Zerstörung der Welt.
C. H. Beck Verlag, München 2023. 463 S., Abb., geb.
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