Besprechung vom 07.12.2024
Ein Riesengebirge an Liebe
Lustknäblein ruft Vögelchen: Der schmerzhaft-leidenschaftliche Briefwechsel zwischen Christine Lavant und Werner Berg
Blümchensex und Dirty Talk, geht das zusammen? In den Briefen Christine Lavants an Werner Berg durchaus: "Wernermann! Mein König mein Leib und Seel-Erlöser, lieber inniger Werner. Du. Innig, innen in mir. Bist Du jetzt drin? Spürst Du jetzt das - das - was Dir wohltut, was Du nicht nennen kannst was Deinem Bäumlein sich entgegenstemmt zärtlich lockend dürstend nach Blühlein?"
Im November 1950 hatten sich die Dichterin und der Maler bei einem Künstlertreffen im kärntnerischen St. Veit kennengelernt. Christine Lavant war nach dem Krieg mit Erzählungen und einem ersten Gedichtband hervorgetreten. Geboren 1915, stammte sie aus äußerst ärmlichen Verhältnissen, litt von Kind an unter Hauttuberkulose, die eine Hör- und Sehbehinderung mit sich brachte, schließlich aber durch intensive Röntgenbestrahlung geheilt werden konnte. Diese Bestrahlung wiederum führte zu chronischen Schmerzen und wiederkehrenden Angstzuständen.
In der Hoffnung auf Sicherheit und Geborgenheit hatte sie einen 36 Jahre älteren, allerdings erfolglosen und von seiner Familie enterbten Kunstmaler geheiratet, der sie zunehmend als seine Dienstmagd betrachtete. Überdies war sie die Ernährerin in der kinder- und sexlosen Ehe. Durch Strickarbeiten sorgte sie für das einzige Einkommen des aus einer kleinen Dachkammer bestehenden Haushalts.
Die Begegnung mit Werner Berg war dann eine Art unmittelbarer Liebesschock, und zwar für beide. Der elf Jahre ältere Berg stammte ursprünglich aus Wuppertal, lernte Mitte der Zwanzigerjahre beim Studium der Volkswirtschaftslehre in Wien seine Frau Mauki kennen, beschloss, unterstützt von seiner Mutter, die ein gut gehendes Spielwarengeschäft betrieb, seiner Passion als Maler zu folgen. Mit Mauki kaufte er den Rutarhof an der slowenischen Grenze und richtete sich dort ein Atelier ein. Während des Krieges diente er als Kriegsmaler in Norwegen; seine Frau kümmerte sich mit zwei ukrainischen Kriegsgefangenen um die Landwirtschaft.
Da seine Mutter ihr Geschäft verlor, mussten nach dem Krieg die recht mageren Erträge des Rutarhofs die inzwischen siebenköpfige Familie ernähren. Zum Malen fehlten da meist Zeit und Kraft, und so war die Begegnung mit Christine Lavant für Berg auch künstlerisch eine Art Wiedergeburt: Nicht nur konnte er mit ihr über seine Bilder reden, sie selbst inspirierte ihn zu einer Reihe von Porträts und Holzschnitten. Sie, die doch so gezeichnet war von Krankheit und Armut, wurde ihm zum Inbegriff der schönen Frau.
Es waren aber nicht nur zwei Künstlerseelen, die sich fanden, es fanden auch zwei Körper zueinander; insbesondere für Christine Lavant, die bis dato keinen Geschlechtsverkehr gehabt hatte, war der Sex von überwältigender Wirkung. So berauschend er war, so heftig war der Entzug, wenn die Droge Sex nicht verfügbar war, und verfügbar war sie ohnehin nur in kleinen Dosen: Ihr Mann entdeckte bald einige der Liebesbriefe, beschimpfte seine Frau wüst, drohte Werner Berg mit Strafverfolgung und zeigte die Briefe im Dorf herum. Werner Bergs Frau Mauki dagegen, der ihr Mann von seiner Leidenschaft erzählte, zeigte anfangs Verständnis, empfand wohl selbst Zuneigung zur Nebenbuhlerin und akzeptierte die Besuche von Lavant auf dem Rutarhof.
Für Christine Lavant war die Begegnung in künstlerischer Hinsicht ebenso inspirierend wie für Werner Berg. Ihr lyrisches Hauptwerk ist an ihn gerichtet; in der nun vorliegenden Gesamtausgabe der Briefe sind die Gedichte, die sie den Briefen beilegte, allerdings nicht enthalten. Man muss sie sich separat anschauen, wenngleich die Inbrunst der Briefe durchaus an die der Gedichte heranreicht: "Küsse mich, komm zu mir, schnell Werner, komm zu mir! Wernerle, Wernerle, Wernerle! Und Du bist doch mein Lustknäblein und ich Dein Lustmädchen geltja, und das ist nichts als süß und heil-heilig. Ich hab Dich soo lieb, ich hab Dich bei jedem Atemzug mehr lieb, es wächst schon ein ganzes Riesengebirge an Liebe zusammen und ich bin ganz klein darunter bin nichts als Dein winziges Vögelchen."
Die Gegenbriefe Werner Bergs sind, zumindest anfangs, von der gleichen Intensität wie die Christine Lavants, wenn auch nicht von derselben spielerisch- ornamentalen sprachlichen Freiheit. Sie sind von einem teils etwas altbackenen erhabenen Ton geprägt, etwas steif und pathetisch zuweilen, sodass man meinen könnte, Berg wäre nicht mit Josef Weinheber (dessen letzter Gedichtband ist Berg gewidmet), sondern mit Stefan George befreundet gewesen: "Christl, geliebte Christine: Achte die Kraft und Innigkeit meiner Liebe nicht gering und nimm sie in Dich hinein! Unterm klaren Nachtgestirn, beim Glockenklang, der nie noch so voll heraufgetönt, beim Licht des neuesten Tages habe ich jeglichen Eid getan, der mich an Dich bindet, und ich habe Dich, o Seligkeit, mir nah gewußt und gespürt."
Eine Weile lang fand die Liebe zwischen Werner Berg und Christine Lavant ihr Ventil in kurzen Begegnungen in Klagenfurt und im Rutarhof. Sie schliefen miteinander, er malte sie, aber im Grunde war die Situation unhaltbar. Berg musste seine Briefe an eine Schwester Lavants schicken, damit ihr Mann so wenig wie möglich von ihrer Beziehung mitbekam. Und auch für Mauki Berg wurde es immer schwieriger, sie zu unterstützen, denn der Hof forderte alle Arbeitskraft, auch die des Mannes und der Kinder, von denen eines gegen Ende des Jahres 1951 zudem schwer krank wurde. Berg hatte, ob all der Anforderungen, immer wieder mit depressiven Schüben zu kämpfen, die österreichischen Malerkollegen intrigierten gegen ihn, und Anfang 1952, im Januar, unternahm er einen ersten Selbstmordversuch.
Da hatte Christine Lavant gerade eine Abtreibung hinter sich. Im April des Vorjahrs hatte sie, die sich so sehr Kinder und eine Familie wünschte, geschrieben, dass sie, welche Verschwendung, nicht mehr den Coitus interruptus praktizieren sollten: "Jedesmal wenn Dein Samen, diese liebe herrliche Kraft Gottes durch meine Schuld vergeudet werden muß wie Abfall . . . Ich habe noch keinen Mann erkannt. An diesem Schmerz merke ich daß Du mein erster und letzter Mann bist. Aber hilft Dir das? . . Werner, - willst Du das nächste Mal bei mir, in mir bleiben?"
Er tat es denn wohl, und Lavant wurde schwanger. Aber eine uneheliche Schwangerschaft wäre im Kärnten der Fünfzigerjahre undenkbar gewesen, zudem war zu erwarten, dass das Kind, wegen der martialischen Röntgentherapie, der sich Lavant unterzogen hatte, schwerste Fehlbildungen erleiden würde.
Dieses Drama nimmt im umfangreichen Briefwechsel nur geringen Raum ein, überhaupt gibt es fast kein anderes Thema als die Heftigkeit des Liebens und Begehrens, wenig Alltägliches, kaum künstlerische Fragen. So fragt sich, an welche Leser dieser Briefwechsel heute gerichtet sein soll. Sicherlich, der Lavant-Forschung wird vor Augen geführt, wie konkret ihre Gedichte von 1950 sich immer wieder an den angerufenen "Gott" Werner Berg richten. Der Überschuss an Leidenschaft ist allerdings von einer gewissen Redundanz und nur sehr dosiert goutierbar.
Auch Werner Berg kann die Last dieser Liebe nach einem Jahr nicht mehr tragen. Er zieht sich zurück, was Lavant in tiefe Verzweiflung stürzt. Bis zu einem zweiten Selbstmordversuch Bergs 1955 schreiben sie sich jedoch, wenn auch seltener, weiterhin. Dann schiebt Mauki Berg, in Sorge um ihren Mann und die Familie, der Beziehung endgültig den Riegel vor. Danach ist nur noch eine Handvoll Briefe überliefert, ein erster aus dem Jahr 1965, ein zweiter aus dem Jahr 1966, eine sehr kurze, nach dem einstigen Überschwang in ihrer Knappheit todtraurige Botschaft: "Seit einigen Tagen bin ich im Krankenheim. Vielleicht kannst mich einmal besuchen kommen? Grüße alle Deine und sei Du innigst gegrüßt von Deiner Christl." Sieben Jahre später wird sie sterben; 1981 er. Es bleiben Bilder, Gedichte und die überfordernden Briefe einer überforderten Liebe. TOBIAS LEHMKUHL
Christine Lavant und Werner Berg: "Über fallenden Sternen". Der Briefwechsel.
Wallstein Verlag, Göttingen 2024. 1088 S., geb.
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