Schullektüre ¿
Ich war kurz davor, "Am kürzeren Ende der Sonnenallee" abzubrechen. Doch ich habe dem Roman noch eine Chance gegeben und so landet er jetzt zumindest in meiner Liste der gelesenen Bücher. Leider muss ich sagen: Er hat mich nicht überzeugen können.Die Handlung bleibt für mich überwiegend farblos. Es gibt wenige Momente, in denen Spannung aufkommt - eine einzige Stelle ließ mein Herz kurz schneller schlagen -, doch viel zu häufig driftet die Geschichte ins Banale ab. Die Sprache greift gerne zu Ausdrücken, die unter die Gürtellinie gehen, was bei manchen Szenen ablenkt statt zu verstärken. Ich hatte gehofft, dass gerade das Leben in der DDR, das mich interessiert, lebendiger und tiefer gezeichnet wird - denn in meiner Familie erzählen nur noch meine Mutter und meine Tante davon -, aber ich habe schon bessere literarische Darstellungen dieser Zeit erlebt.Dass das Buch als Schullektüre verwendet wird, überrascht mich nicht. Es bietet zweifelsfrei Material für Diskussionen über Alltag, Ideologie und Jugendjahre zwischen Mauern und Idealen. Doch für mich funktioniert der Coming-of-Age-Ansatz nicht. Die Jugendlichen und ihre Erlebnisse wirken in vielen Passagen unfertig, wie Skizzen statt vollständige Charaktere. Der Roman reiht Episoden an Episoden, ohne dass große Entwicklung oder Nachdruck spürbar wären.Manchmal gibt es humorvolle, pointierte Szenen, nostalgische Erinnerung an Kleinigkeiten im DDR-Alltag und Darstellungen westlicher Einflüsse wie Musik oder Lebensstil. Meist hat das Buch einen leichten, nicht allzu bedrückenden Zugang zur Geschichte, aber ich denke, es ist nicht dafür gedacht, jeden Aspekt realitätsnah darzustellen. Und genau dieser Mangel an Tiefgang stört mich. Wenn alles locker und poetisch vermittelt wird, leidet oft die Glaubwürdigkeit und das Mitgefühl. Ich vermisste echt Momente, in denen die Härte und Komplexität der DDR-Realität mehr Gewicht bekommen.Die Erzählsprache hat Stilmittel, die Authentizität schaffen wollen - Umgangs- und Jugendsprache, lokale Bezüge, gedankliche Abschweifungen. Diese Elemente sind mir allerdings nicht konsistent genug eingesetzt, um das Buch über das Mittelmaß hinauszuheben. Stattdessen entstehen Abschnitte, die wie unfertige Überlegungen wirken, nicht wie sorgfältig gearbeitete Szenen. Vielleicht mögen manche das als "Wohlfühlroman" empfinden, als sanfte Nostalgie ohne große Widerstände, und für sie funktioniert das - bei mir jedoch nicht.Insgesamt hat "Am kürzeren Ende der Sonnenallee" seine Stärken: kleine, charmante Beobachtungen, ein leichter Zugang zur Jugendzeit in einer besonderen historischen Situation und Szenen, die man nicht sofort vergisst. Für mich überwiegen aber die Schwächen: mangelnde Tiefgründigkeit, uneinheitliche Gestaltung, gelegentliche Geschmacklosigkeiten. Für mich ist es ok, dass ich das Buch schlussendlich gelesen habe, denn es regt zum Nachdenken an. Aber ich würde es nicht weiterempfehlen, wenn man auf der Suche ist nach einem Roman, der wirklich eindringlich und vollständig das Leben in der DDR abbildet.©2025 adlatb