Durch die vielen Autoren, die sich bei dieser Geschichte zusammengetan haben, ist es schwierig, einen Stil erfassen zu können. Die einzelnen Kapitel sind gleichzeitig einzelne Geschichten, die aus anderen Perspektiven erzählt werden. So kommen immer wieder neue Charaktere hinzu, die dann auch noch weitere Erzählungen liefern können. Der Stil verändert sich dadurch immer beim Wechsel des Blickwinkels und fängt die Persönlichkeit der Figuren so besser ein. Das ist ein Punkt, der mir ziemlich gut gefallen hat, denn es hat mir die einzelnen Charaktere sehr viel näher gebracht.
Gleichzeitig ist es aber für mich auch ein Kritikpunkt, denn durch die verschiedenen Stilrichtungen war die Wahrscheinlichkeit höher, dass es mindestens einen gibt, der mir nicht wirklich zusagt. Das war leider dann auch der Fall, obwohl das gesamte Buch trotz des Zusammenbringen von so vielen Autoren auf einem hohen Niveau bleibt.
Die Charaktere bestechen durch ihre Vielfältigkeit und die Tiefe, die ihren Persönlichkeiten gegeben wurde. Einen Großteil der Figuren stellen die Kollegen vom Revier dar, doch der Leser macht auf den knapp 700 Seiten noch Bekanntschaft mit Familienangehörigen der Cops, zwielichtigen Kriminellen und Existenzen, denen die Wild Card kein leichtes Leben verschafft und die immer zur falschen Zeit am falschen Ort sind.
Um die Abwechslung noch zu erhöhen, bewegt sich das Spektrum der Figuren, die ihre Geschichten erzählen, nicht nur zwischen Menschen und Jokern. Es sind Männer und Frauen verschiedenster Altersklassen, Ethnie und Glaubensrichtung.
Am Anfang des Buches erfährt Ramshead, kurz vor seiner Pensionierung, dass durch einen Brand ein 30 Jahre alter Fall wieder aufgetaucht ist, von dem man eigentlich dachte, dass er damals gelöst wurde. Doch irgendetwas erscheint im Faul daran und er versucht, die inzwischen kalten Spuren wieder aufzunehmen. Seine Suche ist der rote Faden, der sich durch die gesamten Kurzgeschichten zieht.
Der eigentliche Hauptplot verbleibt bei Ramshead, alle anderen Geschichten bauen ein Gerüst drum herum. Die eigentliche Handlung gewinnt immer mehr an Form, je mehr die Charaktere verraten. Die Tätigkeit der Cops, der Fall von damals, diverse andere Ermittlungen und Einzelschicksale erhalten so eine Dichte, die man selten antrifft, denn es werden so viele Seiten beleuchtet, wie irgend möglich.
Im Laufe der Handlung werden viele gesellschaftlich relevante Themen angesprochen: von Rassismus über Mobbing bis hin zur Diskriminierung von Minderheiten ist alles dabei. Doch damit nicht genug, auch Korruption und der Zusammenhang zur Staatsgewalt wird erwähnt. Gerade in der heutigen Zeit sind diese Aspekte aktueller den je und haben an Brisanz gewonnen.
Mich hat besonders die Behandlung der Einzelschicksale der Joker fasziniert. Ihr Umgang mit der plötzlichen Veränderung, die sie durchmachen mussten, die Reaktion ihrer Umgebung darauf und ihr Leben als genetisch veränderter Mensch hat mich gefesselt und teilweise zu Tränen gerührt.
Trotz aller positiven Aspekte, habe ich einige Kritikpunkte an "Wild Cards", die sich am besten mit zwei Worten zusammenfassen lassen: zu viel.
Dieses Buch wimmelt nur so von allem - Themen, Charaktere, Schicksale, Dramen und Tragödien, wo man nur hinschaut. Im ersten Drittel des Buches hat es sich für mich so angefühlt, als würden hundert Leute in meinem Kopf versuchen zu Wort zu kommen. Auch die Ansammlung der physischen Veränderungen, die die Joker durchmachen können, wurde für mich immer abstruser und manchmal fragte ich mich, ob das ein oder andere wirklich unbedingt sein musste. Daher hat es sich für mich sehr gezogen und ich bin nicht reingekommen. Da mir aber die Idee hinter dieser Verbindung von Kurzgeschichten so gefallen hat, habe ich es nicht zur Seite gelegt, worüber ich im Nachhinein recht glücklich bin.
Gesellschaftlich relevante Themen verpackt in einen skurrilen, abwechslungsreichen und spannenden Fantasy-Krimi-Mix, der es manchmal etwas übertrieb und zu gut meinte. Dennoch eine klare Empfehlung für Liebhaber klassischer Fantasy, die auch gern mal etwas abgedreht sein darf.