
Der Berg Fuji ist seit langem ein zentrales Motiv der kollektiven japanischen Phantasie, und nichts fängt dies eindrücklicher ein als die berühmte Farbholzschnitt-Serie 36 Ansichten des Berges Fuji von Katsushika Hokusai (1760-1849). Der berühmte Maler und Druckgrafiker feiert hier in seinem eigenen unverwechselbaren Stil die Schönheit von Landschaften, Städten, Menschen und die Stille der Natur. Die Serie entstand auf dem Höhepunkt von Hokusais künstlerischem Schaffen und ist ein Schlüsselwerk des Ukiyo-e-Genres - sie brachte Hokusai weltweite Anerkennung und etablierte ihn als einen der führenden Meister des japanischen Holzschnitts.
Nicht nur Hokusais Besessenheit mit dem Berg Fuji wird hier deutlich, sondern auch der florierende Inlandstourismus der späten Edo-Zeit. Der Berg war ein beliebter Blickfang für Reisende, die entlang der T_kaid_-Straße in die Hauptstadt Edo (heute Tokio) reisten, und gab somit eine perfekte Kulisse für jede der einzigartigen Szenen der Serie ab. Hokusais berauschende Farbpalette und sein Sinn für exquisite Details arbeiten die Besonderheiten der Landschaft sowie den provinziellen Charme der Umgebung heraus. Neben dem wohl berühmtesten japanischen Holzschnitt Die große Welle vor Kanagawa steht diese weltweit beliebte Serie schlechthin für das kulturelle Erbe Japans.
Bislang existierten nur wenige vollständige Nachdrucke. Diese Ausgabe im XXL-Format enthält nun sämtliche 46 Holzschnitte - die ursprünglichen 36 plus die zusätzlichen zehn, die der Künstler später noch hinzugefügt hat -, mit größter Sorgfalt und in bestechender Qualität reproduziert. Traditionell japanisch wurden die Blätter auf ungeschnittenem, einseitig bedrucktem Papier reproduziert und in Fadenheftung gebunden.
Diese bezaubernden Ansichten des vorindustriellen Japans sind ein außergewöhnliches Beispiel für die faszinierende Kunst des Holzschnitts - und eine perfekte Ergänzung zu TASCHENs Hundert berühmte Ansichten von Edo und den Neunundsechzig Stationen des Kisokaid_.
Besprechung vom 16.11.2024
Die zweite Welle
Der japanische Künstler Hokusai ist mit einem Bruchteil seines Werks weltweit bekannt geworden. Ein Prachtband zeigt ihn nun von anderen Seiten.
Shunro macht den Anfang, es folgen Sori, Hokusai, Taito, Iitsu und schließlich Manji - die Liste ist nicht vollständig, umfasst aber doch die wichtigsten Namen, unter denen sich jener Künstler in verschiedenen Phasen seines Lebens der Öffentlichkeit präsentierte, den wir meist mit dem Namen Hokusai bezeichnen. Weit mehr als zehntausend Arbeiten werden ihm bisweilen zugeschrieben, an die fünfzig Schüler sind bekannt, die bei ihm lernten, seinen Stil zu kopieren, in der Werkstatt zum Erfolg der Marke Hokusai beizutragen und den Markt mit Arbeiten zu überschwemmen, zumal nach der erzwungenen Öffnung Japans zum Westen hin besonders dort der Hunger nach Bildern aus dieser Quelle gewaltig war.
Natürlich sind die Grenzen auch nach der anderen Seite hin unscharf zu ziehen: Nicht nur ist die Signatur des Meisters kein Garant dafür, dass ein Werk tatsächlich von seiner Hand stammt; manches, das diese Signatur eben nicht trägt, mag dennoch von ihm rühren, schließlich durchlief auch er in seinen Anfängen als Achtzehnjähriger eine Ausbildung in einer entsprechenden Werkstatt. Der 1760 geborene Sohn eines Spiegelpoliers wurde Schüler eines Holzschnittmeisters und bildete zunächst Schauspieler ab, bevor er zum Illustrieren von Büchern herangezogen wurde. Dabei arbeitete er sich zu besseren Adressen hoch, schuf Tableaus und hochformatige Drucke, die als Wandschmuck dienten. Es entstanden geschickt inszenierte kleine Szenen mit wenigen Akteuren ebenso wie großartige Panoramen mit einer Vielzahl von Nebenhandlungen.
Hokusais Striche werden in der Folge kräftiger und gewinnen individuelle Züge. Er interessiert sich offenkundig für Grotesken, nicht nur in den Illustrationen zu thematisch einschlägigen Texten mit Dämonen und Gespenstern, und auch die porträtierten Schauspieler weisen Züge auf, die sich von den glatten Arbeiten der Frühzeit deutlich unterscheiden. Vor allem aber findet er Gefallen an der Darstellung von Landschaften, die tatsächlich sein bei uns besonders bekanntes Spätwerk dominieren.
Nun versammelt ein prächtiger Band im Taschen-Verlag einen gewaltigen Teil seines Werks (722 Seiten, 175 Euro) - achthundert der hier etwa 7200 als echt identifizierten Bilder Hokusais. Das Ziel des Herausgebers Andreas Marks, das gängige Hokusai-Bild zu hinterfragen und ihm ein differenzierteres entgegenzusetzen, ist auf jeder Seite dieser ungeheuren Monographie sichtbar: punktuell, wenn etwa dem ikonischen und zu astronomischen Preisen gehandelten Bild der "Großen Welle vor Kanagawa" von 1831 ein anderes, das wohl 1802 bis 1804 entstandene "Bild von Lieferschnellbooten in den Wellen" gegenübersteht, und auch im größeren Rahmen, wenn etwa die Malerei des Künstlers, dessen Holzschnitte sonst in unserer Wahrnehmung das übrige Werk in den Hintergrund drängen, hier breiten Raum erhält. TILMAN SPRECKELSEN
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