Solide, aber enttäuschend im Hinblick auf das, was möglich gewesen wäre.
Mit Kings & Thieves - Die Letzte der Sturmkrallen legt Sophie Kim einen Fantasyroman vor, der auf dem Papier extrem viel verspricht: koreanische Mythologie, politische Intrigen, eine tödliche Assassinin im Zentrum und dazu noch eine Enemies-to-Lovers-Romance. Genau diese Mischung war es, die mich zum Buch greifen ließ - umso ernüchternder, dass ausgerechnet Figurenzeichnung und Liebesgeschichte für mich die größten Schwachstellen sind.Beginnen wir mit dem Positiven: Die Welt ist spannend und eigenständig. Die Einflüsse koreanischer Mythologie, Götter, Geisterwesen und Titel schaffen eine dichte Atmosphäre, die das Buch aus der Masse heraushebt.Allerdings ist der Einstieg recht sperrig. Viele Begriffe und Namen werden relativ unkommentiert in den Raum geworfen, während die Handlung gleichzeitig anzieht. Wer dranbleibt, wird zwar mit einer faszinierenden Welt belohnt, aber der Weg dahin ist durch die Informationsflut und die fehlende behutsame Einführung unnötig steinig.Lina soll die letzte Sturmkrall-Assassinin sein - gefürchtet, gefährlich, vom Wunsch nach Rache getrieben. Das Problem: Auf der Seite funktioniert sie mehr als Konzept denn als glaubhafte Person.Mehrfach hatte ich den Eindruck, dass das Buch mir erzählt, wie tödlich und professionell sie sei, während ihre Entscheidungen und ihr Verhalten oft das Gegenteil signalisieren: impulsiv, unüberlegt, emotional übersteuert. Das könnte man mit Trauma und innerer Zerrissenheit begründen, aber dann müsste der Text genau das deutlicher herausarbeiten. So bleibt ein Bruch zwischen dem, was die Geschichte behauptet und dem, was ich tatsächlich lese.Emotional blieb Lina für mich auf Distanz. Sie ist hart, verbittert und fokussiert auf Rache - alles okay für eine komplexe Heldin - nur fehlt mir die Nuance dazwischen: Momente echter Verletzlichkeit, leise Zwischentöne, in denen ich nachvollziehen kann, warum sie so ist. Stattdessen wirkt sie an vielen Stellen eher wie eine Figur, die eine bestimmte düstere Rolle erfüllen soll, ohne dass ich sie wirklich greifen kann.Kommen wir zum wunden Punkt: der Romance. Das Buch verkauft sie als große Enemies-to-Lovers-Dynamik - in der Praxis hatte ich aber oft das Gefühl, ich lese eine Checkliste:¿ gegenseitige Spitzen ¿¿ er ist geheimnisvoll und attraktiv ¿¿ sie will ihn eigentlich hassen ¿¿ irgendwann knistert es "irgendwie" ¿Was fehlt, ist der organische Weg dazwischen. Die Anziehung entwickelt sich für meinen Geschmack zu sprunghaft und wirkt eher wie ein Genre-Muss, das abgearbeitet werden muss, statt wie eine glaubwürdige, langsam wachsende Verbindung. Viele Dialoge zwischen Lina und Rui fühlen sich vorhersehbar an: ein bisschen Spannung, ein Andeuten von Verletzlichkeit - aber selten so, dass es mich wirklich berührt.Besonders störend fand ich, dass Linas innere Logik gegenüber Rui nicht immer konsistent wirkt. Sie schwankt zwischen "ich sollte ihn töten" und "ich fühle mich hingezogen" ohne genügend Zwischenschritte, in denen deutlich wird, was genau ihre Sicht auf ihn verändert. Dadurch wirkt die Romance teilweise aufgesetzt und überstürzt - fast so, als wäre sie notwendig, um ein bestimmtes Marketing-Versprechen einzulösen, aber nicht aus der Geschichte selbst heraus gewachsen.Gerade Leser*innen, die starke Enemies-to-Lovers-Dynamiken gewöhnt sind - mit all dem Slow Burn, der emotionalen Reibung und den Oh nein, ich mag ihn wirklich-Momenten - könnten hier eher frustriert zurückbleiben. Die Grundchemie ist da, aber sie wird zu selten wirklich genutzt und zu schnell "abgehakt".Strukturell hat das Buch seine Probleme:¿ Der Einstieg ist durch das Worldbuilding und die Fülle an Informationen holprig.¿ Die Mitte leidet unter Längen; Szenen wirken teilweise wie Variationen desselben Konflikts, ohne genug neue Erkenntnisse oder Wendungen zu bringen.¿ Im Finale zieht das Tempo dann spürbar an: mehr Spannung, mehr Action, emotionalere Konsequenzen - hier zeigt das Buch, was in ihm steckt.Leider kommt diese Stärke recht spät. Wer bis dahin schon mit Lina und der Romance hadert, bekommt zwar eine Art Belohnung, aber der Weg dorthin kann sich gezogen anfühlen.Sprachlich ist der Roman gut lesbar, ohne stilistisch herauszuragen. Besonders positiv ist, dass die Atmosphäre konsequent gehalten wird, düster und mythologisch angehaucht. Allerdings ist der Gewaltgrad teils überraschend hoch; das passt zwar zur Grundidee einer Assassinin, könnte aber Leser*innen irritieren, die eher eine "klassisch romantische" Fantasy erwartet haben.Unterm Strich ist Kings & Thieves ein Buch, das ich gleichzeitig empfehlen und kritisch beäugen würde: solide, mit toller Idee und beeindruckender Welt, aber gebremst von einer Protagonistin, die hinter ihrem eigenen Konzept zurückbleibt und einer Romance, die mich mehr genervt als begeistert hat.