Der Zeitgeist nimmt Fakten nicht mehr wahr, diskreditiert die Experten und Politik und stellt Ideologie über Wissen und Tatsachen. Vince Ebert nimmt diese Entwicklung aufs Korn, ordnet sie historisch ein und fordert eine Renaissance der Aufklärung.
Was zum Teufel tun wir?
"Der indische Philosoph Jiddu Krishnamurti sagt, die Fähigkeit, ohne jegliche Bewertung zu beobachten, ist die höchste Form der Intelligenz. Wenn das stimmt, sind wir derzeit alle geistige Stubenfliegen."
Wenn die Realität immer mehr zur Satire wird, wie kann man das als Satiriker noch toppen: Auf Langeoog blockieren Touristen Rettungswagen, weil sie mit klimaschädlichem Diesel fahren. Die Deutsche Bahn muss einem männlichen Zuggast Schmerzensgeld zahlen, nachdem sie ihn mit »Herr« angesprochen hat, er sich aber als Frau identifiziert. In Krefeld wollte ein Iraner mit 27 verschiedenen Identitäten ein Kino anzünden. Vermutlich war ihm der Ticketpreis für so viele Personen zu hoch.
»Descartes sagte: 'Ich denke, also bin ich.' Und seit TikTok wissen wir: Es geht auch so. «
Der Wissenschaftskabarettist Vince Ebert blickt auf sein Land und fragt sich: Wot se Fack? Haben unsere Gefühle den Verstand verloren? An Universitäten werden biologische Erkenntnisse relativiert, Energiepolitik wird nach Bauchgefühl betrieben, Migrationsfragen werden ideologisch verengt. Parlamentsdebatten sind kaum mehr von Postillon-Artikeln unterscheidbar. In rasender Geschwindigkeit erleben wir einen Rückfall in voraufklärerische Zeiten.
'Wot se Fack' - ein Weckruf für das, was unsere abendländische Kultur ausmacht: Rationalität, Selbstbestimmung und Meinungsfreiheit. Oder wie es Kant formulierte: Habe Mut, Dich deines eigenen Verstandes zu bedienen. Auch dann, wenn du keinen hast.
»Wer mit dem Bauch denkt, bekommt vieles in den falschen Hals. «
Besprechung vom 29.09.2025
Comedian packt ernste Themen an
Ein Buch, das nicht jedem gefallen soll
Der vulgäre Buchtitel soll wachrütteln. "Wot se fack, Deutschland?", so lautet die verzweifelte Frage des Autors, was zur Hölle mit diesem Land los ist. Die orthographisch absichtlich unkorrekte Denglifizierung des bösen F-Wortes ging schon im Fall des Filmerfolgs "Fack ju Göhte" aus dem Jahr 2013 viral. Sie ist also keine originäre Erfindung von Vince Ebert, der als launiger Stand-up-Comedian bekannt geworden ist. Aber der Kniff zieht auch hier, wie ein Blick in die Bestsellerlisten zeigt. Das Buch tritt mit einem ungewöhnlichen Anspruch auf. Es will eines sein, das hoffentlich nicht jedem gefällt. Dabei dürfte die Sorge, dass es jedem gefallen könnte, völlig unbegründet sein.
Nachvollziehbarerweise kommt es bei vielen schlecht an, wenn der Autor schonungslos auflistet, was in unserem Land und in vielen anderen westlichen Ländern jahrzehntelang schiefgelaufen ist. Und wenn er uns dann noch eine Mitverantwortung für die dadurch entstandenen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Schieflagen vorwirft. Das ist kein Comedyprogramm mehr, das ist Kabarett und Satire. Aber das ist erlaubt - und wohl auch nötig. In seinem Buch kritisiert Ebert, dass die Vernünftigen und Gemäßigten so lange geschwiegen haben angesichts der Irrationalität und Radikalität, die sich in den vergangenen Jahren auf vielen Ebenen verbreitet haben. Unsere Gefühle haben laut Ebert den Verstand verloren. Das habe zu ideologisch geprägten Fehlentscheidungen etwa in der Wirtschafts- und Energiepolitik, der Einwanderung, Erziehung oder Bildung geführt.
Der aus dem Odenwald stammende Diplom-Physiker Ebert wurde mit Comedyauftritten bekannt, in denen er wissenschaftliche Erkenntnisse witzig in Szene setzte. Mittlerweile zieht er in seinen Programmen ab und zu auch das woke Weltbild durch den Kakao. Fährt da jemand auf dem Ticket der Schlechtredner, die - nicht ohne politische Hintergedanken - nur noch schwarzsehen und keinen Lichtblick mehr erkennen wollen? Nein, Ebert ist weder Zweckpessimist noch Trittbrettfahrer. Das wird auch deutlich, wenn man in seine früheren Bücher schaut. Der extrovertierte Bühnenmensch hat die eher introvertierte Tätigkeit des Bücherschreibens während der Corona-Pandemie forciert. Im Jahr 2020 brachte er mit "Broadway statt Jakobsweg" seine Erlebnisse als Aussteiger in New York zu Papier und arbeitete sich mit viel Selbstironie an den kulturellen Unterschieden zwischen Deutschen und Amerikanern ab. Nur zwei Jahre später kam mit "Lichtblick statt Blackout" sein zweites Buch heraus, in dem es schon um deutlich ernstere Themen ging, insbesondere um die durch eine ideologisierte Energiewende entstandenen Gefahren für Wirtschaft und Gesellschaft.
Das Timing hätte damals nicht passender sein können. Das Lichtblick-Buch erschien im Herbst 2022, als Deutschland nach dem Ende der russischen Gaslieferungen einen kalten Winter fürchten musste. Der blieb dem Land zum Glück erspart, doch sind die Energiepreise immer noch so hoch, dass Produzenten in Deutschland einen Wettbewerbsnachteil erleiden und die Lebenshaltungskosten gestiegen sind. Eberts Appell von damals, dem Klimawandel technologisch zu begegnen statt ideologisch, ist daher immer noch aktuell. "Richtiges Denken ist weder links noch rechts. Es ist so rational wie möglich", schreibt er.
Ein einfaches, aber wirkungsvolles Stilmittel zieht sich im Prinzip durch alle drei Ebert-Bücher. Es besteht darin, mit nüchternen Betrachtungen anzufangen, etwa mit dem Ergebnis einer Studie, um die sachliche Analyse dann mit einem Witz abzuschließen. So bleibt das Lesen auch ernster Themen unterhaltsam. Allerdings ist es eine Gratwanderung, denn die Pointen bergen die Gefahr, einen brisanten Sachverhalt ins Lächerliche zu ziehen oder zu verharmlosen. Der Leser muss die Grenze zwischen Spaß und Ernst im Auge behalten. In Eberts aktuellem Buch bleibt einem angesichts der ernsten Lage das Lachen über so manche Pointe im Hals stecken, etwa wenn er die Deutsche Bahn sarkastisch lobt: "Da kaufe ich ein Ticket für zwei Stunden und bekomme eine Stunde gratis dazu."
Das neue Buch ist deutlich skeptischer als die vorigen. "Manchmal fehlt mir der Optimismus, das wird Ihnen beim Lesen aufgefallen sein", räumt der Autor im Schlusskapitel ein. Er will nichts schönreden und vergleicht den gegenwärtigen Zustand der einst von der Aufklärung geprägten westlichen Kultur mit der Situation eines sinkenden Schiffes. Allerdings rät er dringend, an Bord zu bleiben, denn es gebe keine Rettungsboote. Für die Leser kommt das dem Aufruf gleich, ihren leckgeschlagenen Kahn wieder flottzumachen, wenn sie nicht untergehen wollen. Folgt man Eberts Argumentation, haben viele den Ernst der Lage aber noch nicht erkannt.
Große Teile von Eberts Buch entstanden noch zu Zeiten der Ampelkoalition, die im Frühjahr durch eine schwarz-rote Bundesregierung unter Kanzler Friedrich Merz (CDU) abgelöst wurde. Umschreiben musste Ebert sein Buch wegen des Regierungswechsels jedoch nicht, wie er in sozialen Netzwerken schon vor dem Erscheinen klargestellt hat. Die Vorstellung, dass sich jahrelange Fehlentwicklungen und deren Folgen auf Knopfdruck in Luft auflösen, dürfte mittlerweile ohnehin verflogen sein. MARK FEHR
Vince Ebert: Wot se fack, Deutschland? - Warum unsere Gefühle den Verstand verloren haben. dtv, München 2025, 303 Seiten
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