Die Welt endet in neun Monaten höchste Zeit für Aisha, ihre Schwester June wiederzufinden. Gemeinsam mit ihrer Mutter, Freund Walter und Kater Flohsack startet sie im bunten Wohnmobil eine Reise durch Malaysia.
Der schönste Weltuntergang, seit die Erde existiert
Die siebzehnjährige Aisha hat ihre Schwester June seit zwei Jahren nicht mehr gesehen. Und nun, da die Welt in neun Monaten untergeht - ein Meteorit fliegt geradewegs auf die Erde zu -, beschließen sie und ihre Mutter, dass es an der Zeit sei, sie aufzuspüren und die Wunden, die sie sich zugefügt haben, zu heilen. Zusammen mit Aishas Freund Walter und dessen Eltern (und Flohsack, dem streunenden Kater) machen sie einen Roadtrip vom Norden in den Süden Malaysias in einem wild dekorierten Wohnmobil - um mit der Vergangenheit abzuschließen, die Gegenwart zu bewältigen und trotz allem auf die Zukunft zu hoffen.
Besprechung vom 25.08.2025
Viel Zeit bleibt nicht
Nadia Mikail beschwört die Apokalypse herauf
Lange Reisen stehen für Aufregung und Abenteuer, in den letzten Zügen des Sommers vielleicht auch für Urlaube in der Ferne, zähe Autofahrten ans Meer oder in die Berge. Bei Aisha aber nicht. Bei Aisha stehen lange Reisen für Tod. Deshalb passt es auch ganz gut, dass sie kurz davor ist, mit ihren engsten Vertrauten in einem Wohnmobil ans andere Ende des Landes zu fahren. Denn sterben werden sie sowieso alle bald - in neun Monaten, um genau zu sein.
Es ist irritierend und schön zugleich, dass Nadia Mikail ausgerechnet Aishas unliebsamstem Passagier den Titel ihres Debüts widmet - "Katzen, die wir auf unserem Weg trafen". Gemeint fühlen dürfte sich Flohsack, ein Kater, der Aisha noch in ihrer malaysischen Heimatstadt Penang vor die Füße läuft. Und Walter, Aishas unendlich gutmütiger Freund, kann nicht widerstehen, ihn mitzunehmen. Warum auch nicht? Haben sie doch vor wenigen Monaten erfahren, dass bald ein Asteroid auf die Erde treffen und alles Leben auslöschen wird.
Also kommt Flohsack mit, wie auch Walters Eltern und Aishas Mutter, mit dem Bus die Westküste Malaysias herunter nach Melaka. Dort hoffen sie, June wiederzutreffen, Aishas vor drei Jahren von zu Hause abgehauene Schwester. Würde die Welt nicht untergehen, würden sie vermutlich auch nicht nach ihr suchen. Aber sie geht ja nun mal unter, daran gibt es keine Zweifel, auch wenn die Menschen anfangen, Bunker zu bauen und Hoffnung zu schüren.
Mikail, die für das Buch den britischen Waterstones Children's Book Prize gewann, beginnt ihre Geschichte, als die erste Panik schon längst verebbt ist. Sie trifft ihre Protagonisten in einem Stadium der Akzeptanz. Eine drückende Schwermut hängt fortwährend über der Geschichte, aufgeregt wegen der Apokalypse ist hier keiner mehr. Mikail schreibt in kurzen Sätzen, ihre Kapitel ziehen sich so gut wie nie über mehr als fünf Seiten. Und während sie Aisha und ihre Begleiter also auf die letzte lange Reise schickt, konfrontiert die Autorin sie mit Fragen, die so existenziell sind, dass sie fast absurd scheinen: Was muss vor der Apokalypse noch erledigt werden? Welche Geschichten erzählt, welche Gedanken geteilt, welche Entschuldigungen gehört? Und ist noch Zeit für Wut, so kurz vor dem Weltuntergang?
Wie gut, dass Aisha, 17 Jahre alt und kurz vor dem Schulabschluss, überragend darin ist, zu funktionieren. Das gilt auch dann, wenn die Welt unterzugehen droht. So, wie sie weiter funktioniert hat, als ihr Onkel und ihre Großeltern starben und später auch ihr Vater. Oder als sie daraufhin ans andere Ende des Landes zogen, ihre Mutter immer leerer und ihre Schwester immer verzweifelter wurde - und schließlich auszog. Kapitelweise springt Mikail in den Zeiten, gibt ihrer Protagonistin den Raum, um sich zu erinnern, zu rekapitulieren, ja: ihr Leben Revue passieren zu lassen. Und so sehr die Wehmut angesichts der bevorstehenden Apokalypse doch auf den Charakteren lastet - die Seeluft, so schreibt Mikail an einer Stelle, sei voll von Second-Hand-Trauer, einer Trauer über die Zukunft, die man nie kennenlernen würde -, so viel dringlicher treten die Nähe und Liebe hervor, die sie verbinden.
Fast nebenbei zeichnet ihre Reise durchs Land dabei ein Bild von jener Heimat, die Aisha mit ihrer Schöpferin teilt. Denn zwar studiert die 28 Jahre alte Autorin in London, aufgewachsen aber ist sie in Kuching, Malaysia. Das fällt auf, weil sie gerade ihre Heimatstadt, die in der Geschichte nur eine Erinnerung Aishas ist, so liebevoll beschreibt: das Essen dort "scharf und wunderbar", die Sonnenuntergänge endlos, die Menschen gemütlich. Kleine, halbseitige Illustrationen von Nate Ng ergänzen die Eindrücke.
Und doch: Die Reise von Aisha und ihren Begleitern ist kein großes Abenteuer. Auf gut 200 Seiten erzählt, gleicht sie mehr einer Kurzgeschichte, die auf eigentümliche Weise gut zur Lebensprämisse ihrer Protagonisten passt. Denn viel Zeit bleibt nicht. Das bedeutet zwar auch, dass nicht jeder Charakter und jede Beziehung die Tiefe besitzt, die man als Leser gern ergründen würde. Eines jedoch vermittelt sie in aller Deutlichkeit: Es braucht manchmal einen Weltuntergang, um zu merken, was wirklich wichtig ist. ANNA NOWACZYK
Nadia Mikail: "Katzen, die wir auf unserem Weg trafen".
Aus dem Englischen von Uwe-Michael
Gutzschhahn. Bilder von Nate Ng. Dtv, München 2025. 224 S., geb., 16,- Euro. Ab 14 J.
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