>Rezensionsexemplar, Meinung unbeeinflusst<
Die große Frage; Wer täuscht hier wen wirklich?
Unsere Hauptprotagonistin Sloane hat in ihrem Leben bereits viele Lügen erzählt, allerdings nicht aus böser Absicht. Schon als Kind wollte sie einfach nur dazugehören und erfand sich immer wieder neu. Doch irgendwann wurden die Lügen zur Gewohnheit und Sloane perfektionierte sie zu einer ganz eigenen Lebensform. Ihr Leben gleicht einem Kartenhaus, dass nur darauf wartet immer wieder auf's neue einzustürzen. Zudem zwingt es sie, Menschen aus dem Weg gehen zu müssen, sobald ihre Fassade zu bröckeln beginnt.
Ihr Lebenslauf ist wandelbarer als ein Chamäleon auf Speed. Mal ist sie eine Krankenschwester, mal Mitarbeiterin in einem Nagelsalon und lange Jahre hat sie sich tatsächlich als Erzieherin ausgegeben und zu guter Letzt wurde sie wieder einmal Nanny. Ein Kreislauf, der sich ständig zu wiederholen scheint und neue Probleme mit sich bringt.
Nur ihre Mutter kennt Sloane, wie und wer sie in Wirklichkeit ist. Sie hat auch sehr viel Verständnis für ihre Tochter. Das werden wohl nur wenige Leser/innen aufbringen können. Ich zumindest habe mir sehr schwer damit getan. Irgendwann verschwimmen die Geschichten und anstatt Sloane ihr Leben in den Griff bekommt, startet sie eine Lüge nach der anderen. Schwer nachzuvollziehen.
Diese Lügen sind meist harmlos. Eines Tages gab Sloane sich jedoch als Krankenschwester aus, was definitiv zu weit ging und drängt sich in das Leben einer scheinbar netten, jungen und aufopfernden Familie. Ab hier beginnt das Spiel aus Täuschung, Wahrheit und Identitätsverlust. Sloane bemerkt zu spät, dass nicht nur sie alleine diese Eigenschaft perfektioniert hat und wird plötzlich selbst manipuliert.
Der Schreibstil ist angenehm zu lesen. Der positiv auffallende Farbabschnitt wirke nicht, wie bei vielen anderen einfarbigen Bänden bröselig oder abfärbend. Bei mir zumindest nicht.
Das Tempo ist am Anfang eher langsam und man hat erstmal sehr viel Eindruck von Sloanes Lügenkonstrukt erhalten.
Was am Anfang für mich eher zu "langsam" wirkte benötigt man tatsächlich, um überhaupt Sloane verstehen zu können bzw. mit ihr warm werden zu können. Warm... nicht sympathisch. Die Idee selbst ist nicht neu aber man kann das Rad eben nicht neu erfinden, es geht um die Umsetzung und die ist gegen Ende immer besser geworden.
Die Hintergründe der Familie (Violet und Jay sowie Harper) waren für mich nicht sofort erkennbar. Die Spannung steigerte sich für mich mit jeder gelesenen Seite. Ich gehöre eher zu den Leser/innen, die beim Lesen nicht viel nachdenken, sondern sich lieber überraschen lassen, was einem Thriller natürlich zugutekommt. Außerdem mag ich diese Art von Thriller. Sloane wirkte auf mich zwar stellenweise fast schon krankhaft in ihrem Verhalten, aber ihr inneres Kopfkino war fast schon eindrucksvoller als jeder Oscar-nominierte Film.
Dadurch, dass die Figuren eher oberflächlich gehalten wurden, waren sie alle nicht überragend sympathisch sondern eher neutral. Das hatte für mich den Vorteil, dass ich am Ende zumindest kein Herzschmerz hatte, weil einem eine fiktive Person ans Herz gewachsen ist. Ein emotionaler Sicherheitsabstand, der in diesem Fall ganz gut funktionierte.
Fazit, ein gutes Buch für Fans von smarten Psycho-Thrillern mit moralisch verwerflichen Hintergründen und undurchsichtigen Charakteren. Es ist keine anspruchsvolle Literatur sondern eher ein "gemütlicher" Lese-Tipp für zwischendurch.
Daher gibt es 4 Sterne von mir.